Die Trilogie ist beendet: «Up in the Air»-Regisseur Jason Reitman tut sich wieder mit «Juno»-Autorin Diablo Cody zusammen und zeigt Charlize Theron als Mutter am Rande der Erschöpfung.
Filmfacts: «Tully»
- Regie: Jason Reitman
- Produktion: Aaron L. Gilbert, Jason Reitman, Helen Estabrook, Diablo Cody, Mason Novick, Charlize Theron, A.J. Dix, Beth Kono
- Drehbuch: Diablo Cody
- Darsteller: Charlize Theron, Mackenzie Davis, Mark Duplass, Ron Livingston
- Musik: Rob Simonsen
- Kamera: Eric Steelberg
- Schnitt: Stefan Grube
- Laufzeit: 96 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Endlich ist er zurück in alter Form: Jason Reitman, der mehrfach preisgekrönte Filmemacher hinter «Up in the Air». Nachdem 2013 sein Drama «Labor Day» Kritiker spaltete und an den Kinokassen unterging, folgte 2014 sein brutal verrissener Mischmasch aus technophober Panikmache, Satire und Melodram, die Buchadaption «#Zeitgeist». Daraufhin blieb Reitman zwar als ausführender Produzent des meisterlichen Drummerfilms «Whiplash» sowie als Regisseur der wenig beachteten Serie «Casual» aktiv, doch als Filmregisseur meldet er sich erst jetzt wieder zu Wort. Die Wartezeit hat sich jedoch gelohnt, denn «Tully» ist um Längen besser als die vergangenen zwei Leinwand-Regiearbeiten Reitmans und zeigt den Dramatik und Witz, Stilisierung und Alltagsbeobachtung so fließend vereinenden Regisseur wieder auf gewohntem qualitativen Level.
Darüber hinaus ist «Tully» quasi das Ende einer inoffiziellen Filmtrilogie, denn die Dramödie vereint Reitman wieder mit Oscar-Gewinnerin Diablo Cody. Cody verfasste bereits das Skript zu Reitmans quirliger Teenagerschwangerschaftskomödie «Juno» sowie zu seinem beißenden «Young Adult» über Menschen, die auch im Erwachsenenalter stur weiter ihrer Pubertät nacheifern. «Tully» ist nun die konsequente Weiterführung dessen und präsentiert sich als schonungsloser, fast schon schauriger Blick auf die alltäglichen Qualen des Elternseins generell und des Mutterseins im Speziellen. Was aber die «Young Adult»-Hauptfigur zynisch und angewidert kommentiert hätte, wird in «Tully» mit einer im Leben angekommenen, innigen Ruhe in Szene gesetzt und stellt sich somit als reife, besonnene Bestandsaufnahme und als Verneigung vor der gepflegt-langweiligen Normalität heraus. Mit ein paar besonderen, unaufdringlichen Eigenheiten.
Es ist also gleichzeitig schlüssig, dass Reitman mit «Tully» zu alter Brillanz zurückfindet, wie es ironisch ist, dass ausgerechnet ein Film über eine erschöpfte Mutter, die fast an den Rande der Verzweiflung getrieben wird (für dramatische Gesten aber schlicht zu müde ist), Reitmans jugendlich-unverbrauchten Regiequalitäten wiedererweckt. Diese Dualität setzt sich faszinierenderweise in der Handlung fort: Die zweifache Mutter Marlo («Young Adult»-Hauptdarstellerin Charlize Theron) ist mit ihrem ungeplanten, dritten Kind schwanger, als sie und ihr Ehemann Drew (Ron Livingston) von ihrem wohlhabenden Bruder ein überraschendes Angebot erhält. Craig (Mark Duplass) schlägt seiner Schwester vor, dass er ihr eine Nachtnanny schenkt, also ein Kindermädchen, das sich ausschließlich nachts um alle Belange für das Neugeborene kümmert. Er und seine Frau hätten auch die Dienste einer Nachtnanny in Anspruch genommen und seien davon begeistert.
Marlo will aber nichts davon wissen und tut Craigs Idee als neureichen, womöglich verantwortungslosen Schnickschnack ab. Nicht lange nach der Geburt ihrer Tochter Mia erkennt Marlo allerdings, dass sie an ihre Grenzen gerät. Ihr sensibler Sohn, der eine nicht diagnostizierte Entwicklungsstörung hat, überfordert seine Lehrer, weshalb die Schule noch mehr Verantwortung an Marlo zurückgeben will. Drew ist völlig in einen neuen Arbeitsauftrag eingespannt und nutzt die Abende zum Entspannen an der Videospielkonsole, was Marlo zu respektieren versucht, selbst wenn es heißt, dass sie wenige elterliche Pflichten abgeben kann. Und so gibt sie eines Tages nach und ruft sehr wohl eine Nachtnanny – die muntere, mit staunenden Augen durchs Leben gleitende Tully (Mackenzie Davis) …
Für alle, die sich gegen das Kinderkriegen entschieden haben (oder sich zumindest in ihrem kinderlosen Status quo sonnen), hat «Tully» zuweilen etwas von einem Horrorfilm: Eine ungekämmte, fette Augenringe aufweisende, übermüdete Marlo schlafwandelt durch ihr Leben, nur aufgescheucht durch Kinderkrach, verständnislose Erwachsene oder Haushaltsunfälle, die Lärm und Dreck verursachen. Reitman fängt die lästigen Kleinigkeiten des Elternseins mit scharfem Auge ein und arrangiert sie zu Montagen, die zwischen bitter, bitterkomisch und "lustig, weil es wahr ist" schwanken. Er und Cody schlagen allerdings nicht in die vorhersehbare Kerbe "Es ist schwer, aber … sie geben so viel zurück!", sondern schaffen es über die Dauer des Films, den Störfaktoren durch ihre ständige Präsenz den Schrecken zu nehmen. Weder verharren sie im anfänglichen Horrormodus, noch lassen sie «Tully» ins kitschig Romantisierende verfallen – sie normalisieren die Tücken des Elternseins schlicht, ergreifend und effektiv.
Dazu trägt Charlize Theron sehr viel bei: Die «Mad Max: Fury Road»-Kämpferin agiert hier mit kleinen Gesten, was nicht nur ihre geschlauchte Rolle zum Leben erweckt, sondern zudem die kontrollierte Beiläufigkeit des Films unterstreicht. Obwohl Reitman und Cody einen besonderen Zeitabschnitt im Leben ihrer Hauptfigur skizzieren, halten sie narrativ und inszenatorisch den Ball flach, wodurch sich «Tully» als neugierige Vignettensammlung positioniert, als filmgewordene Mutterschaftskolumnensammlung. Das Besondere an dieser Kolumnensammlung ist, dass sie sich nicht zu wichtig nimmt und das Bemutternde auslässt, das zumeist untrennbar mit ihnen verbunden ist.
Reitman und Cutter Stefan Grube beenden Sequenzen wiederholt, bevor sich ihre offensichtliche Minimoral konkretisiert. Davis ist als nimmermüde Tully zwar kurz davor, ein
Manic Pixie Dream Girl darzustellen, erdet ihre Figur aber mit einer abgeklärt-verständnisvollen Art. Und Erwachsene, die sich nicht in Marlos Fußstapfen versetzen können, bekommen eben nicht durchweg ihr Fett weg, denn niemand kann erwarten, rund um die Uhr mit ungeheucheltem Verständnis begrüßt zu werden. Wenn Marlos Kinder miese Tage haben dürfen, dann auch deren Lehrer! Nur die selbstdarstellerische Attitüde Neureicher bekommt in diesem von Kameramann Eric Steelberg in frühlingshaft-kräftigen Farben gehaltenen, und somit der ausgelaugten Marlo entgegenarbeitenden, Bildern eingefangenen Dramödie passionierte Seitenhiebe versetzt.
Während etwa
«Das Pubertier – Der Film» mit seiner heiter-aufgekratzten Sicht aufs Elternsein punkter, glänzen Reitman und Cody mit rauer, abgeklärt dargebotener Ehrlichkeit, staubtrockenem Witz und einem überraschenden Sinn für thematische Klammern. Hoffentlich bleibt uns diese Version von Jason Reitman langfristig erhalten.
«Tully» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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