Ein neues Netflix-Original: Der Streaming-Dienst zeigt gerade eine französische Psycho-Thriller-Serie, die leider wenig psychologisches Interesse an ihren Figuren hat.
Manu (Marc Ruchmann) und seine Freudin Adèle (Émilie de Preissac) mieten sich eine Hütte, das titelgebende Chalet, in den französischen Alpen im kleinen Örtchen Valmoline. Adèle ist seit wenigen Wochen schwanger und die Beiden wollen ein paar Tage zur Ruhe kommen, bevor Manus Jugendfreunde aus dem Ort in der alten Heimat eintrudeln, die sie allesamt schon lange verlassen haben. Während Manu sich im Ort seiner Kindheit schnell wieder zurechtfindet und alte Kontakte neu belebt, wird Adèle dieses Dorf – und erst recht das modern hergerichtete Chalet – immer unheimlicher. Sie bildet sich ein, wie Blut aus den Bodenplanken hervortritt und jedes knarzende oder quietschende Geräusch lässt sie sofort nervös zusammenfahren.
Gleichzeitig führt uns die Serie zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit, als die Waldhütte zum letzten Mal vermietet worden war, an den so glück- wie arbeitslosen Pariser Schriftsteller Jean-Louis Rodier (Manuel Blanc) sowie seine aus dem Dorf stammende Frau Françoise (Mia Delmaë) und ihren gemeinsamen, damals dreizehnjährigen Sohn Julien (Félix Lefèvbre), der sich schnell mit Alice (Agnès Delachair/Louvia Bachelier), der gleichaltrigen Tochter des Zimmermanns, einem so hübschen wie eigenständigen Mädchen anfreundete, sehr zur Wut der anderen Jungen im Ort. Jean-Louis zog damals nicht nur durch sein unbeabsichtigt versnobtes Gehabe die Antipathie der Dorfbewohner auf sich und fand nur in der örtlichen Barbetreiberin eine Freundin.
Zwanzig Jahre später, als Manu und Adèle in der Hütte hausen, ist von den damaligen Ereignissen nur das Rudimentärste bekannt: Man erinnert sich nur noch, wie der Schriftsteller und seine Familie damals recht überhastet abgereist waren und sich nicht einmal die Zeit genommen hatten, sich zu verabschieden. Doch durch Adèles (erstaunlich präzise) Fragen, erinnert sich Manu immer besser an die damalige Zeit, auch wenn es Adèle nur noch unbehaglicher wird, wenn sie auf die seltsamen Menschen im Ort trifft: etwa den verschrobenen Einsiedler, immerhin ein Fields-Preisträger und damit einer der herausragendsten Mathematiker der Welt, der aber schon seit Jahrzehnten in einer armseligen Hütte in der radikalsten Einsamkeit haust.
Als Manus Freunde aus Jugendzeiten schließlich in Valmoline eintrudeln – unter ihnen auch Alice und ein gemeinsamer Bekannter, den sie schon damals nicht leiden konnten, und der heute mit seinem Sportwagen unangenehm auf dicke Hose macht – ereignet sich schließlich das bestimmende Ereignis der Serie: Durch einen Steinschlag wird die einzige Zufahrtsbrücke in den Ort just in dem Moment unpassierbar, nachdem der versammelte Tross sie überquert hatte, und als auch noch die Telefonleitungen gekappt werden, ist die Isolation von der Außenwelt perfekt. Eigentlich ideale Bedingungen, um in bester Psycho-Thriller-Manier alte Geheimnisse aufzudecken, Mörder zu enttarnen und das Figurenpersonal einen nach dem anderen niederzumetzeln.
Eigentlich. Denn ein Psycho-Thriller bedarf eben eines starken psychologischen Erzählelements, das «Le Chalet» leider nicht vorzuweisen hat. Ebenso tappt die Serie in zahlreiche dramaturgische Fallen, die die narrative Struktur noch mehr schwächen. Ein völlig überladener Cast (ein gutes Dutzend relevante Figuren!) macht es dem Zuschauer unmöglich, sich schnell einen Überblick über die Grundthemen und -Ereignisse zu verschaffen und verzögert damit unnötig seinen emotionalen Zugang zu dem Stoff, wozu ebenso die unnötig konfuse Verschachtelung von drei Zeitebenen beiträgt, die leichter verfolgbar hätte gestaltet werden können.
Gleichzeitig hat der Stoff inhaltlich nicht sonderlich viel zu sagen, sondern begnügt sich mit dem Vortrag kurioser Gestalten und Lebensverhältnisse, während die Erzählung der Psychologie der Figuren durchwegs oberflächlich bleibt. Das ist mitunter ebenfalls auf die unnötig opulente Figurenausstattung zurückzuführen, gleichzeitig aber auch das Verschulden der überschaubaren erzählerischen Ambition dieser Serie, die sich aus dem psychologischen Teil des Konzepts nur das Nötigste macht, um einen Psycho-Thriller zu bedienen. Das Spiel von Einbildung und Realität, von Tatsächlichem und wahnhaft Zusammengedachtem funktioniert in «Le Chalet» nur über kurze Strecken. Besser also gar nicht erst einziehen.
Die Serie ist ab sofort bei Netflix verfügbar.
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