Jörg Grabosch und Marcus Wolter stehen für zwei völlig konträre Arten, Fernsehen zu machen. Nun steht Grabosch bei Brainpool vor dem Aus und Wolter soll nach einer Umstrukturierung die Zügel in die Hand bekommen. Die Konsequenzen dieser Personalie für das deutsche Fernsehen könnten enorm sein.
Vor etwa dreieinhalb Jahren, anlässlich des zwanzigsten Geburtstags der Produktionsfirmen Brainpool und Endemol, gaben Brainpool-Geschäftsführer und -Gesellschafter Jörg Grabosch und der damalige Geschäftsführer von Endemol Deutschland Marcus Wolter der „Süddeutschen Zeitung“
ein langes Interview über die Historien ihrer Karrieren im deutschen Mediengeschäft, die trotz ähnlich exponierter Positionen ganz unterschiedlich verliefen, und den Zustand des deutschen Fernseh- und Bewegtbildgeschäfts. Es empfiehlt sich, diesen Text immer mal wieder zu lesen – gerade jetzt – weil er in den beiden Personen Grabosch und Wolter zwei völlig konträre Vorstellungen vom Fernsehen als Medium, Geschäftszweig und kreativer Spielwiese entwirft, von denen die Eine nun vor dem Aus zu stehen scheint.
Lange Jahre hat Brainpool für sein besonderes Geschäftsmodell in der Branche eine hohe Achtung erfahren. Denn die Konsequenzen, die Grabosch in den 90er Jahren aus seinem Bruch mit Harald Schmidt gezogen hat, den er nicht mehr an sein Produktionshaus binden konnte, erwiesen sich als besonders tragfähig und nachhaltig: Mit den neuen Stars – Raab, Pocher, Engelke und vielen anderen – gründete Brainpool Joint-Ventures, mithilfe derer die Talente direkt am monetären Erfolg ihrer Sendungen beteiligt wurden und so entsprechend wenig Anreize hatten, sich bei der Konkurrenz nach besseren Konditionen umzusehen: Weil die keine bieten konnte. Das geteilte Monopol erzeugte eine starke wechselseitige Abhängigkeit, aus der kaum einer der Beteiligten schadlos aussteigen konnte. „Wir können nicht ohne die, die können nicht ohne uns.“
Dieses Modell konnte Brainpool auch in unsteteren Zeiten konsequent aufrechterhalten: durch sich verändernde Konzernstrukturen, (gescheiterte) Börsengänge und anschließende Management-Buy-Outs. Genauso wie durch all die strukturellen Veränderungen der Fernsehbranche: die zunehmende, häufig angstgetriebene Marktforschungshörigkeit, die Verlagerung von Bewegtbild weg vom Linearen in den Online-Sektor, die eingedampften Budgets und Sendeplätze.
Wahrscheinlich begann die derzeitige Misere damit, dass Stefan Raab zu groß wurde, um noch von diesem System eingebunden zu werden, und es stattdessen dominieren konnte: Seine Entscheidung, sich zumindest aus dem Fernsehgeschäft vor der Kamera zurückzuziehen, riss tiefe Löcher in das Auftragsbuch von Brainpool, während die damit einhergehenden Entlassungen arbeitsrechtliche Prozesse nach sich zogen. Und sie verlieh der Konzernstruktur eine neue Brisanz.
Denn bereits Jahre zuvor hatte sich die französische Banijay Entertainment mit 50% an Brainpool beteiligt. Grabosch, Raab und zwei weitere Gesellschafter aus ihrem Umfeld hielten zusammen die anderen 50%. Das war die Fortsetzung des Leitmotivs der Eigentümer- und Produktionsstrukturen, mit dem Grabosch das Unternehmen stets geführt hat: „Wir können nicht ohne die, die können nicht ohne uns.“
Solange Stefan Raab mit seinen zahlreichen Shows weite Teile des Line-ups von ProSieben bestückte und für Brainpool – und damit auch Banijay – Millionengewinne erwirtschaftete, lagen die Prioritäten für das französische Konsortium freilich darin, diesen Status quo aufrechtzuerhalten, auch wenn das hieß, Grabosch und sein Umfeld mit ihrem Widerwillen gewähren zu lassen, die größtenteils anspruchslosen und auf tumbe Massentauglichkeit abzielenden Formate im Banijay-Katalog für das deutsche Fernsehen umzusetzen. Von den anfangs von Banijay erhofften Synergieeffekten sind kaum welche eingetreten.
Als Stefan Raab – wohl im Zuge seines weitgehenden Rückzugs aus dem Fernsehgeschäft – keine Bestrebungen mehr hatte, als Gesellschafter weiter an Brainpool beteiligt zu sein, bot der Kauf seiner Anteile in Höhe von 12,5% natürlich die ideale Gelegenheit für Banijay, die vollständige Kontrolle über Brainpool zu übernehmen und den restlichen Gesellschaftern seinen Willen aufzuzwingen. Im Klartext: Sendungen aus dem Formatkatalog für das deutsche Fernsehen zu adaptieren, was angesichts ihrer inhaltlichen Stoßrichtungen die Marke Brainpool, die für hochwertige, ambitionierte Fernsehunterhaltung steht, wohl massiv beschädigen, wenn nicht zerstören würde. Banijay kann das egal sein; doch für Grabosch und seine Mitgesellschafter geht es um alles. Das sind die offensichtlichen Hintergründe, weshalb er mit allen Mitteln den Vollzug der Übertragung von Stefan Raabs Eigentumsanteilen an Banijay zu verhindern oder zumindest zu verzögern versucht.
Banijays Ambitionen im Kampf um die Zukunft von Brainpool sind ebenso offensichtlich wie Graboschs: Man will Brainpool in die neu gegründete Banijay Germany integrieren – und als geschäftsführenden Gesellschafter Marcus Wolter.
Wolter (Bild rechts) steht für die dem Modell Grabosch diametral entgegengesetzte Art, Fernsehen zu machen: Denn während man sich Jörg Grabosch nun sicherlich nicht als Rollkragenpullover tragenden Avantgardisten vorstellen kann, produzierte er seine Sendungen doch nicht ausschließlich für die Quotentabellen. Denn auch wenn er sicherlich stets über das aktuelle Quoten- und Marktgefüge detailliert im Bilde ist, strahlen seine Sendungen doch stets den Anspruch und die Ambition aus, gut zu unterhalten. Nicht nur im eingangs zitierten Interview verweigerte er sich konsequent dem zur kollektiven Obsession gewordenen Zielgruppendenken und machte gutes, massentaugliches Fernsehen mit Haltung und ehrlicher Überzeugung. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Mann wie Marcus Wolter jahrelang einen Sender wie 9Live leiten könnte, dessen Geschäftsmodell einzig darin bestand, Arbeitslosen mit dubiosen Methoden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Im schon eingangs zitierten Interview betonte Grabosch, Brainpool sei immer viel lokaler und künstlergetriebener gewesen als Endemol, woraufhin Wolter entgegnete: „Viel kleiner eben!“ Das erlaubt Rückschlüsse auf die jeweiligen Prioritäten.
Wenn sich Banijay mit seinen derzeitigen Bestrebungen durchsetzt (und das scheint langfristig wahrscheinlich), werden die Änderungen für Brainpool und die deutsche Produzentenlandschaft gravierend sein. Kaum vorstellbar, dass Banijay es zulassen würde, die deutschen Adaptionen seiner Katalogformate unter dem Label Zodiak Germany zu betreiben (wie mutmaßlich von Grabosch angedacht), um die Marke Brainpool nicht mit Nackt-Dating-Sendungen zu versauen.
Das unternehmerische Gegenmodell: Fernsehen zu machen wie Marcus Wolter, ist ebenso bekannt: War die Marke Brainpool spitz und klar umrissen und stand für massentaugliche, aber klug durchdachte und sich nicht an Zielgruppen anbiedernde Unterhaltungsformate, ist die Marke Endemol nicht nur unter Wolters Führung breiter und schwerer mit individuellen Formaten oder einer klaren kreativen Ausrichtung fassbar. Grabosch schien bereit, sofern die wirtschaftlichen Gegebenheiten von Brainpool es zuließen, auch einmal auf ein paar Wachstumsschübe zu verzichten, um der Marke und den mit ihr transportierten Ideen nicht langfristig zu schaden. Marcus Wolter hat nicht nur in seiner Zeit als Chef von 9Live offenbart, dass ihm an nachhaltiger Unternehmens- und Markenführung nicht viel zu liegen scheint. Entsprechend wird er wahrscheinlich auch Banijay Germany und damit Brainpool führen, was ganz im Sinne der französischen Gesellschafter sein dürfte. Dies würde nicht weniger als das Ende des angesehenen kreativen Powerhouses Brainpool bedeuten.
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