Dieser «Tatort» macht sehr viel richtig: Sein Drehbuch ist nicht nur spannend und reich an Wendungen, sondern erzählt auch mit einem großen psychologischen Interesse an seinen Figuren.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Wotan Wilke Möhring als Thorsten Falke
Franziska Weisz als Julia Grosz
Youssef Maghrebi als Abbas Khaled
Jörn Knebel als Joachim Rehberg
Marc Rissmann als Olaf Spieß
Gerdy Zint als Junker
Sabrina Amali als Alima Khaled
Hinter der Kamera:
Produktion: Wüste Medien GmbH
Drehbuch: Arne Nolting und Jan Martin Scharf
Regie: Özgür Yildirim
Kamera: Matthias Bolliger
Produzenten: Björn Vosgerau und Uwe KolbeEs beginnt und endet in einer alten Lagerhalle: Die einsame Bundespolizistin Julia Grosz (Franziska Weisz) wird während eines Zugriffs blöd von den örtlichen Cops angemacht, was sie hier soll: Sie versaue ihnen gerade den Zugriff. Dann fallen Schüsse, denen Grosz zügig hinterher eilt. Sie findet eine tote, selbstverständlich unbewaffnete Frau vor, und ihren Kollegen Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der mit gezogener Pistole über ihr steht.
Im Verhörraum verlangt Falke trotz der späten Stunde erst einmal ein Glas Milch, bevor er zu seiner langen Erklärung ansetzt und auf die umfangreichen Fragen des Kommissars antworten will. Auch Kollegin Grosz muss sich verhören lassen, und während die Beiden getrennt voneinander die Ereignisse der letzten Tage schildern, finden sich zunehmend zahlreiche Diskrepanzen zwischen ihren Schilderungen.
Einig sind sie sich noch darin, dass sie vor ein paar Tagen nach Lüneburg gekommen waren, um die Identität eines Flüchtlings zu überprüfen, der seit zwei Jahren in der Stadt lebt und bestens integriert ist – sogar so gut, dass er am örtlichen Gymnasium als Deutsch-Tutor fungiert. Die Bundespolizei hat den Verdacht, dass es sich bei diesem Vorzeigeflüchtling tatsächlich um Abbas Khaled (Youssef Maghrebi) handelt, der unter falschem Namen in die Bundesrepublik eingereist ist, um zu verschleiern, dass er in seiner libanesischen Heimat als Mitglied einer Miliz an umfangreichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt war. Als Grosz und Falke in den Klassenraum platzen, um ihre Personenkontrolle wie geplant vorzunehmen, ergreift Khaled die Flucht.
Die weiteren Ermittlungen bestätigen Falke und Grosz noch fester in ihren ursprünglichen Vermutungen: Khaled hatte mit Drogen gedealt und die Ehefrau, mit der er nach Deutschland gekommen ist, stellt sich als seine Schwester heraus. Die Spuren führen in die Lüneburger Unterwelt, zu libanesischen Clans, die ihre neuankommenden Landsleute als Dealer einspannen. Vielleicht ein erster Anhaltspunkt, dass Khaled doch nicht der ist, der er zu sein scheint: Und dass Falke und Grosz mit den divergierenden Szenarien, die sie bei ihren Verhören präsentieren, eine gewisse Strategie verfolgen.
Arne Nölting und Jan Martin Scharf ist mit „Alles was Sie sagen“ ein sehr gutes Drehbuch gelungen, das nicht nur wegen seiner klugen, weitsichtig entworfenen Struktur gefällt, sondern gleichsam mit der intelligenten Verwebung von Erzähltinhalt und Erzählart, von Thema und Narrative. Dieser Film hat uns etwas zu sagen, das weit über das in «Tatorten» übliche Einpressen aktueller Ereignisse und Umstände in ihre Fälle hinausgeht: über Flüchtlinge und ihre Zeit der Unsicherheit im fremden Deutschland, über Neuanfänge und die Schwierigkeit alter Verbindungen, und auch – ganz ohne dabei allzu politisch sein zu müssen – über die Notwendigkeit von Staat und Gesellschaft, potentielle Gefahren von als Flüchtlinge getarnten Terroristen abzuwenden.
Doch dieses Thema wird eben nicht didaktisch dialogisiert und auf pathetisch vorgetragene Phrasen reduziert. Vielmehr spiegelt es sich kunstvoll und intelligent in der erzählten Geschichte, in den klug entworfenen Wendungen, entlang der Heldenreise der beiden Ermittlerhauptfiguren, die ihre klaren Haltungen haben, aber trotzdem als offene Persönlichkeiten ihre Sichtweisen ändern dürfen.
„Alles was Sie sagen“ führt eindrucksvoll vor, dass man sich eben nicht entscheiden muss zwischen einer spannenden Erzählweise und thematischem Tiefgang, zwischen schnellen, dynamischen Plots und psychologischem Feingefühl. Denn hier stimmt beides: Die Erzählung ist sehr spannend, reich an Wendungen und Handlungsentwicklungen, und gleichzeitig hat sie ein großes psychologisches Interesse an ihren Figuren, von dem aus sie klug und weitsichtig ihr Thema bearbeitet. Dieser «Tatort» sollte vielen Sonntagabendkrimis als Beispiel dienen.
Das Erste zeigt «Tatort – Alles was Sie sagen» am Sonntag, den 22. April um 20.15 Uhr.
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