Dass Humor und Grusel aufeinander treffen und beide Elemente hervorragend funktionieren, kommt selten genug vor. «Ghost Stories» ist so ein Paradebeispiel gelungener Genreverschmelzung.
Filmfacts: «Ghost Stories»
- Regie und Drehbuch: Andy Nyman, Jeremy Dyson
- Produktion: Claire Jones, Robin Gutch
- Darsteller: Andy Nyman, Paul Whitehouse, Alex Lawther, Martin Freeman
- Musik: Haim Frank Ilfman
- Kamera: Ole Bratt Birkeland
- Schnitt: Billy Sneddon
- Laufzeit: 98 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Die Entstehungsgeschichte von Andy Nymans und Jeremy Dysons «Ghost Stories» ist außergewöhnlich. Ursprünglich war die britische Genreproduktion nämlich mal ein Theaterstück, für das das Regieduo selbst verantwortlich zeichnete. Von den beiden stammt nicht nur die Inszenierung, sie schrieben auch das Skript zur Bühnen- und Filmvariation selbst. So blieb über mehrere Jahre alles in einer Hand und man meint selbst auf der großen Leinwand noch zu erahnen, wie sich die anthologieartig aufbereitete Kurzgeschichtensammlung wohl auf der Bühne gemacht hätte. Doch nicht nur die Hintergründe zur Entwicklung von «Ghost Stories» sind gleichermaßen spannend wie unterhaltsam. Dasselbe gilt auch für den Film an sich – dem bislang besten des Jahres, der sich grob dem Horrorgenre zuordnen lässt. Wohlgemerkt grob, denn Nyman und Dyson war nicht bloß daran gelegen, einen astreinen Schocker vorzulegen, wenngleich ihr Film als solcher hin und wieder auch hervorragend funktioniert. In «Ghost Stories» gehen fieser Grusel und eine ordentliche Portion Humor Hand in Hand. Nun möchte man meinen, so etwas ja schon mehrmals gesehen zu haben; die Bezeichnung «Horrorkomödie» ist letztlich keine neue Erfindung. Doch diesmal finden beide Genres gleichermaßen ihren Platz in einem Film. Auf einen markerschütternden Schreck folgt herzhaftes Lachen und umgekehrt. Und dann ist da ja auch noch die klug-verquirlte Geschichte, zu der wir im Folgenden nicht mehr verraten wollen, als nötig.
Professor Philip Goodman (Andy Nyman) ist ein bekannter Skeptiker aller übernatürlichen Phänomene und Moderator der Fernsehsendung «Psychic Cheats», in der er gefälschte Séancen entlarvt, betrügerische Hellseher bloßstellt und paranormale Schwindel aufdeckt. Goodmans großes Vorbild war sein Vorgänger, der Psychologe Charles Cameron, der vor längerer Zeit unter mysteriösen Umständen verschwand und mittlerweile für tot gehalten wird. Doch eines Tages bekommt Goodman ein merkwürdiges Paket zugeschickt, das angeblich von Cameron stammt und in dem er Goodman bittet, ihn in seinem Versteck zu besuchen. Die Freude darüber, endlich seinem Idol gegenüber zu stehen, schwindet allerdings sofort, als Cameron ihn als genauso arrogant und respektlos gegenüber der Geisterwelt beschimpft, wie er es selbst einst war. Stattdessen fordert er Goodman auf, drei Fälle selbst zu untersuchen, an denen er einst scheiterte, um Cameron das Gegenteil zu beweisen. Goodman nimmt die Herausforderung an, hinter der er so etwas wie einen versteckten Hilferuf vermutet…
So gut altbekannte Horrorcomedys wie «Shaun of the Dead», «Scary Movie» oder «Zombieland» auch sein mögen, sie alle eint, dass sich trotz einiger Genreelemente selten so etwas wie Unbehagen beim Zuschauer einstellt. Letztlich muss sich der Regisseur eben doch dafür entscheiden, welchem Tonfall er sich bevorzugt widmen will. Genau das tun Andy Nyman («The Commuter») und Jeremy Dyson («Psychobitches») nicht. «Ghost Stories» ist deshalb so gut, weil sich die Macher keinerlei ungeschriebener Regeln unterwerfen. Stattdessen erzählen sie ganz wagemutig eine (durchaus konstruierte) Geschichte und bringen in ihr all das unter, was sich im Anbetracht der Story gerade anbietet.
Dabei genügt schon ein Blick ins Presseheft, um zu begreifen, in welchen erzählerischen Sphären wir uns bei «Ghost Stories» bewegen. Dort heißt es nämlich: "ACHTUNG: Um den Zuschauern den Spaß nicht zu verderben, bitten wir Sie dringend darum, die Geheimnisse und überraschenden Wendungen von «Ghost Stories» nicht zu verraten." Derartige Bitten, jegliche Spoiler zu vermeiden, finden sich normalerweise erst ab einem Kaliber von Marvel- oder «Star Wars»-Filmen – und nun eben auch in «Ghost Stories». Nicht, dass wir so einen Hinweis nötig hätten. Für uns ist es selbstverständlich, keine überraschenden Wendungen innerhalb des Handlungsgeschehens vorab zu verraten. Aber eine solche Vorsichtsmaßnahme offenbart doch, dass eines von vielen Standbeinen des Films die Plottwists sind. Und von denen hat «Ghost Stories» einige zu bieten, die selbst bei mindfuckerprobten Zuschauern zünden dürften.
Schon die Aufteilung und Dramaturgie des Films sind außergewöhnlich. Innerhalb ihrer 98 Minuten erzählen Nyman und Dyson drei in eine Rahmenhandlung eingebettete Kurzgeschichten. Die erste handelt von einem Nachtwächter (Paul Whitehouse), der eines Nachts von einem Spuk heimgesucht wird. Die zweite von einem streng religiös erzogenen Jungen (Alex Lawther), dessen Auto mitten in der Nacht liegen bleibt und der plötzlich nicht mehr alleine ist. In der dritten Geschichte steht schließlich ein wohlsituierter Geschäftsmann (Martin Freeman) im Mittelpunkt, der in Erwartung seines ersten Kindes plötzlich von unheimlichen Vorkommnissen geplagt wird. All diese Ereignisse – natürlich rein fiktiver Natur – haben gemeinsam, dass sie zu den ungelösten Fällen eines berühmten Psychologen gehören, der es sich einst zur Aufgabe machte, die Welt davon zu überzeugen, dass es keine Geister und paranormalen Phänomene gibt.
In der Rahmenhandlung geht es schließlich um ihn selbst – und um den Protagonisten Philip Goodman, der den Geschichten auf den Grund gehen will. Die einzelnen Short Stories decken inszenatorisch zwar eigentlich nur das Standardrepertoire des gängigen Gruselkinos ab, doch wie es zuletzt schon Filme wie das «Conjuring»-Franchise bewiesen, geht es nicht immer darum, das Rad neu zu erfinden. «Ghost Stories» arbeitet mit Jump Scares, mit dem klassischen Potpourri aus vorbeihuschenden Schatten, plötzlich auftauchenden Fratzen, aus sich wie von Geisterhand bewegenden Gegenständen und flackernden Lichtern. Gleichzeitig holen Kameramann Ole Bratt Birkeland («Four Lions») und Komponist Haim Frank Ilfman («Das etruskische Lächeln») das Optimum an Atmosphäre aus ihrem Film heraus: Anstatt auf den schnellen Kameraschwenk mit der plötzlich hinter der Figur auftauchenden Gestalt zu setzen, dominieren in «Ghost Stories» Plansequenzen, während die Musik zum essentiellen Bestandteil der Handlung wird, anstatt nur im Moment des Jumpscares plötzlich anzuschwellen. Eine Handvoll Reminiszenzen an Klassiker wie «Evil Dead» oder «Es» gibt es obendrauf.
Die Stimmung in «Ghost Stories» ist flirrend und von Anfang bis Ende unberechenbar. Selbst innerhalb der Kurzgeschichten ereignen sich unvorhergesehene Wendungen, ganz zu schweigen von der finalen Auflösung des ganzen Spuks. Dabei appellieren die Macher aber auch immer wieder deutlich an den Zuschauer, das Gesehene einfach hinzunehmen; auf Logik abgeklopft, gibt es so einige Momente, denen der Film sonst nicht standhalten würde. Unter diesen Voraussetzungen eröffnet sich dem Publikum allerdings ein großer Spaß, der nicht nur aus dem Mitknobeln ob der Schlusserklärung resultiert, sondern auch daraus, wie intensiv und gleichermaßen leichtfüßig «Ghost Stories» sein Anliegen vorträgt. Auch der Blick auf die Besetzung der spleenigen Hauptfiguren, aus deren Eigenheiten und Gebaren ein Großteil des Humors resultiert, verrät Einiges:
Neben «Sherlock»-Gesicht Martin Freeman als gleichermaßen widerlicher wie geschniegelter Geschäftsmann geben sich auch britische Comedygrößen wie Paul Whitehouse («The Death of Stalin») und Serienstar Alex Lawther («The End of the F***ing World») die Ehre, die aus ihren Rollen weit mehr herausholen, als das Opfer ihrer jeweiligen Umstände. Wenngleich man nicht viel über sie erfährt – das würde die sehr zügig erzählte und sich aufs Notwendigste beschränkende Geschichte gar nicht zulassen – spielen sie authentisch genug auf, um ihre emotionale Verfassung vor und nach dem Vorfall glaubwürdig an das Publikum heranzutragen. Und in manch einer Performance steckt sogar so viel bitter böses Herzblut, dass man der Figur ihr Schicksal fast ein wenig gönnt. Freud und Leid liegen nun mal oft nah beieinander.
Fazit: Nichts ist wie es scheint – «Ghost Stories» ist ein gleichermaßen unheimliches wie zum Brüllen komisches Vergnügen, das in dem einen Moment noch den Puls in die Höhe treibt und uns im nächsten über uns und das Geschehen lachen lässt. Die smarte Inszenierung und eine wahrlich überraschende Auflösung runden dieses einmalige Erlebnis ab, dem wir zutrauen, sich in naher Zukunft einen Platz in den Annalen der Horrorfilmgeschichte zu sichern.
«Ghost Stories» ist ab dem 19. April 2018 in einigen deutschen Kinos zu sehen.
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