Netflix' herrlich komische und doch tieftraurige Serie wirkt, als hätte sie Wes Anderson an einem depressiven Tag geschrieben. Entstanden ist eine herrliche Symbiose aus Komödie und Tragik.
Mein Kollege Jan Schlüter hatte recht, als er vor etwas über einem Jahr anlässlich der Premiere von «Lemony Snickets Eine Reihe Betrüblicher Ereignisse» urteilte, dass es 2017 keine verrücktere Serie geben würde.
Diese Verrücktheit war sicherlich mitunter in der seltsamen Erzählhaltung begründet: Inhaltlich dreht sich die Geschichte um drei Kinder, die bei einem tragischen Unglück ihre Eltern verlieren und in die Hände eines soziopathischen Tunichtguts fallen, der zu allem bereit ist, um sich ihr immenses Vermögen unter den Nagel zu reißen. Doch der Erzählduktus und die Reihe der betrüblichen Ereignisse schlägt einen anderen Ton an: einen urkomischen. Die Deppertheit, mit der sich Antagonist Graf Olaf bei seinen Plänen anstellt, die elogenhaften Kommentierungen der Kunstfigur Lemony Snicket, der aufgrund der deprimierenden Ereignisse gar vom Zuschauen abrät, und die ständige Konterkarierung des Formats durch sich selbst machen das Seherlebnis unfassbar witzig.
In dieselbe Kerbe schlägt die kitschige Spieluhr-hafte Ästhetik, in der die Serie gehalten ist. Und diese beiden Elemente – das wunderschöne, oft steampunkartige Panoptikum und die witzige Erzählung an sich tragischer Begebenheiten – lassen einen Vergleich mit dem Werk eines anderen großen Filmemachers gar unvermeidlich erscheinen: Wes Anderson.
Spätestens in seinem «Grand Budapest Hotel» hat er seine ebenso Spieluhr-hafte Ästhetik auf die Spitze getrieben und erzählte dabei so rührend wie komisch eine tieftraurige Geschichte von Verlust und Verfolgung, von Schicksalsschlägen und Trauer. Nicht anders seine ebenso von schwierigen zwischenmenschlichen Themen bestimmten «Royal Tenenbaums» oder seine Ausflüge zu anthropomorphen Stopmotion-Figuren wie mit dem «Fantastic Mr. Fox».
Ähnliches gelang Mark Hudis und Barry Sonnenfeld mit ihrer «Reihe Betrüblicher Ereignisse» bei Netflix, bzw. Daniel Handler mit der literarischen Vorlage – und ihre Serie wirkt, als habe sie Wes Anderson an einem seiner depressiveren Tage entworfen. Sie ist witzig, weil die Ereignisse in ihr so tragisch sind, und damit erinnert sie uns daran, dass oft gerade der Tragik besonders komische Züge innewohnen. Doch anders als in Mark Twains berühmter Gleichung – Komödie sei Tragödie plus Zeit – ergibt sich die Komik bei Lemony Snicket aus der Addition von Tragödie und der ständigen witzigen Brechung dieser Ereignisse durch eine ganze Reihe visueller und erzählerischer Stilmittel: Lemony Snicket höchstpersönlich (gespielt von Patrick Warburton) schaltet sich ständig als dezidiert deprimierter Erzähler dazwischen, um in pedantischen Monologen die aktuellen deprimierenden Ereignisse zu kommentieren. Graf Olaf (und seinem meisterhaften Darsteller Neil Patrick Harris) ist keine Kostümierung zu doof, und selbst wenn er – optisch herrlich – als Frau auftritt, wirkt dies interessanterweise keine Minute entwürdigend, was die Serie auch einer queeren Lesart öffnet. Und die mit größter Detailverliebtheit gestalteten, opulenten Sets, die Snickets Haltung forcieren, seine Reihe in keinem fest begrenzten (geschichtlichen) Zeitraum einzuzäunen, sind nicht selten bewusst (!) so überkandidelt behalten, dass sie ihrerseits bereits ein Quell von Komik sind.
Komödie und Tragödie sind kein polares Gegensatzpaar, sondern eng miteinander verwandte Genres. In besonders ambitionierten Stoffen können sie auch eine Symbiose miteinander eingehen, in der das eine das andere bedingt und vice versa, woraus sich schließlich ein ganz besonderes Kunstwerk ergeben kann – so wie Netflix‘ «Reihe betrüblicher Ereignisse».
Die zweite Staffel von «Lemony Snickets Eine Reihe betrüblicher Ereignisse» ist ab dem 30. März auf Netflix verfügbar.
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