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Die Kritiker: «Sedwitz»

Pünktlich zum 25. Jubiläum der Wiedervereinigung zeigt Das Erste eine kleine sechsteilige Serie, die in den letzten Tagen der DDR spielt. Mangelwirtschaft meets Marktwirtschaft:

Cast & Crew «Sedwitz»

Regisseur: Paul Harather
Drehbuch: Paul Harather & Stefan Schwarz
Cast: Thorsten Merten, Stephan Zinner, Hannes Ringlstetter, Judith Richter
Produktionsunternehmen: Neue System Agentur
Dem deutschen Fernsehpublikum gefallen Stoffe über die eigene Historie. Soweit nichts Neues.

Sie eher humoristisch denn zum Zwecke der gesellschaftlichen Aufarbeitung zu erzählen, ist schon seltener. Diesen Ansatz verfolgt die sechsteilige Serie «Sedwitz» über den gleichnamigen fiktiven Ort an der sächsisch-bayerischen Grenze.

Im Jahre 1988 ist die Mangelwirtschaft in der DDR so ubiquitär wie je zuvor. Der Grenzschutzbeamte Ralf Pietzsch bekommt das besonders deutlich zu spüren, als sein Sohn sich zum Geburtstag einen Zauberwürfel wünscht. Das Produkt stammt zwar aus der Volksrepublik Ungarn, ist aber ausschließlich für den Westexport gedacht, um an Devisen zu kommen. Was in der BRD ein Ein-Mark-Artikel ist, ist im Osten allenfalls über ein Westpaket zu bekommen. Da die Pietzsches keine Freunde oder Verwandten jenseits der deutsch-deutschen Grenze haben, entfällt auch diese letzte Rettung.

Da kommt es wie gerufen, dass ein hochrangiger Stasi-Offizier, der ein enger Freund von Ralfs Vater war, ihm in einem unbeobachteten Moment den Schlüssel zu einem Trafo-Häuschen außerhalb des Sicherheitsbereichs schenkt, wo er einen bis heute unentdeckten Tunnel in den Westen gebuddelt hatte. Ralf ergreift die Gelegenheit, nimmt sich einen Tag frei und macht für ein paar Stunden rüber in den Westen, um das Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn zu erstehen.

Unverhofft kreuzt sich dabei sein Weg mit Hubsi, einem urbayerischen Beamten des Bundesgrenzschutzes, der mit ihm bei seinem Freund Franz, einem geschäftstüchtigen Gastwirt, Bier trinken geht. Ihre Wege verflechten sich immer stärker – trotz Mauer und Systemkonflikt.

Schon die Grundidee der Autoren Stefan Schwarz und Paul Harather zu ihrer kleinen Serie im Spätprogramm ist ziemlich klug: 1988, ein Jahr vor ihrem Fall, machen sie die Mauer „ein bisschen poröser“ und schaffen so die Möglichkeit zu einem spannenden Untersuchungsfeld, das uns auch heute noch, fast auf den Tag genau fünfundzwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, beschäftigt: Wie fremd sind sich die Deutschen diesseits und jenseits der alten Trennlinie?

Man hat im letzten Jahr, in der Zeit zwischen den beiden Jubiläen von Mauerfall und Wiedervereinigung, viele Artikel lesen können, über die Erfolgsgeschichte des wiedervereinigten Deutschlands im vereinten Europa, aber auch über die Brüche, die Unzulänglichkeiten, die alten Prägungen, die Versuche der Assimilierung Ostdeutschlands und der Ostdeutschen und das (partielle?) Scheitern dieses Versuchs. Über das Elend der Treuhand, über Abwanderung, Trostlosigkeit und Verelendung, über wirtschaftlich desolate Gegenden in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Über „blühende Landschaften“, die für viele heute wie blanker Hohn klingen. Über junge Deutsche, die die Teilung gar nicht mehr (bewusst) erlebt haben, und doch noch heute damit konfrontiert werden.

Doch «Sedwitz» ist in erster Linie ein humoriges Stück, das seine Komik – nicht unähnlich den üblichen Culture-Clash-Mustern – aus den unterschiedlichen Hintergründen seiner Protagonisten zieht. Und das erstaunlich gelungen. Denn die Serie verkommt nie zu einem Abklappern und Überbetonen altbekannter Stereotype, sondern bindet das Spiel mit den Klischees gekonnt in einen übergeordneten Zusammenhang und eine transzendente Leitfrage ein: Wie sollen diese grundverschiedenen Figuren – die selbstbewussten Westdeutschen und die von Mangelwirtschaft und Diktatur gegrämten Ostdeutschen – bald in einem Land vereint leben? Zugespitzt, ja. Verallgemeinert, sowieso. Aber doch in einer sehr treffenden Allegorie.

«Sedwitz» gibt auf diese Frage eine so einfache wie sinnstiftende Antwort, die auch als Pars pro toto auf die Welt nach der Wende gelesen werden kann: Es klappt immer besser. Und Grenzer Ralf Pietzsch findet im Westen schneller Anschluss als ihm lieb ist.

Doch die Serie begnügt sich nicht mit der humoresken Aufbereitung eines (fiktiven) Stückes deutsch-deutscher Vergangenheit, sondern liefert auch sehr konkrete Einblicke in das Leben – gerade ihrer ostdeutschen Figuren – vor dem Mauerfall. Gekonnt führt sie die Lächerlichkeit der SED-Kader vor, ihre vor sich hergetragene Biederkeit und ihre bescheuerten Lippenbekenntnisse zu Staat und Sozialismus, während sich gleichsam eine feingeistige Betrachtung des Alltags der DDR-Durchschnittsfamilie ergibt: des Beamten im Mittleren Dienst, der die Mickey-Mouse-Hefte wegschiebt, bevor der Vorgesetzte sie sieht, weil sogar in den Witzheften aus dem Westen der Klassenfeind vermutet wird. Grotesk.

«Sedwitz» schafft gekonnt den Spagat zwischen einer feingeistig beobachteten Komödie und der Möglichkeit zu einer ernsthaften Begegnung mit den beiden Deutschlands, aus denen bald eines wurde. Eine Serie, die Mauern einreist. Im wahrsten Sinne des Wortes genauso wie im übertragenen. Blühende Landschaften zu später Stunde.

Das Erste zeigt sechs Folgen von «Sedwitz» ab Donnerstag, den 3. September um 23.30 Uhr.
02.09.2015 15:01 Uhr Kurz-URL: qmde.de/80505
Julian Miller

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Sedwitz

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