Wenn Dinosaurier plötzlich nicht mehr reden oder der Vietnamkrieg noch länger dauert, dann handelt es sich um eine Special Edition.
1999 sorgte die BBC mit der Dokumentationsreihe «Dinosaurier – Im Reich der Giganten» weltweit für Furore. Die auch in Deutschland quotenstarke Dino-Dokumentation inspirierte unter anderem eine aufwändige Liveshow sowie einen 2013 in den Kinos gestarteten 3D-Spielfilm, der mit computeranimierten Dinosauriern vor realen Hintergründen eine familientaugliche Geschichte erzählt – ganz im Stile der allmählich in Vergessenheit geratenen Disney-Produktion «Dinosaurier». Beide Filme haben außerdem gemeinsam, dass sie ursprünglich als komplett dialogfreie Erzählungen geplant wurden. Jedoch orderten die verantwortlichen Studios aus Sorge, einen finanziell untragbaren Film zu produzieren, an, die Projekte so umzubauen, dass sehr wohl in ihnen gesprochen wird. Während diese Entscheidung im Falle des Disney-Werkes allerdings relativ früh im Produktionsprozess gefällt wurde, geschah dies bei «Dinosaurier 3D – Im Reich der Giganten» sehr spät, weshalb die Dinosaurier im Film nicht einmal ihre Münder bewegen, wenn sie sprechen. Außerdem wurde eine Rahmenhandlung hinzugefügt, die die Kerngeschichte in einen anderen Kontext setzen sollte. In der Presse fanden diese Rahmenhandlung und die aus dem Off gesprochenen Dialoge aber keinerlei Gegenliebe – was auch an den Verantwortlichen nicht vorbeiging.
Daher wird «Dinosaurier 3D – Im Reich der Giganten» in den USA optional auch in einem Deluxe-Blu-ray-Set angeboten, welches unter anderem einen „Cretaceous Cut“ beinhaltet, der schlussendlich nichts geringeres ist als die ursprünglich geplante Fassung dieses Kinoprojektes darstellt. Ohne Rahmengeschichte, ohne Dialoge. Somit reiht sich dieser Animationsfilm ein in die lange Riege von Filmen, von denen im Anschluss an ihre Kinoauswertung eine markante alternative Version auf den Markt gebracht wurde. Zensuren und Jugendschutzmaßnahmen sei Dank wäre es müßig, auf sämtliche Filme mit mehreren Schnittfassung einzugehen, insbesondere seit es auch „Special Extended Edition DVDs“ gibt. Jedoch gibt es auch im großen Wust an Alternativversionen Werke, die ähnlich wie «Dinosaurier 3D – Im Reich der Giganten» durch extreme Maßnahmen hervorstechen.
So erstelle Francis Ford Coppola 1977 eine spezielle Kinofassung der «Die Pate»-Reihe, in der die ersten beiden Teile in chronologischer Folge erzählt werden. Darüber hinaus umfasst diese Version mit dem Titel «Der Pate: Die Saga» 75 zusätzliche Minuten, zugleich wurden Gewalt- und Sexszenen aus den Kinofilmen etwas entschärft. War diese spezielle Fernsehfassung im Falle der «Pate»-Reihe eine finanzielle Verlegenheitslösung, so war sie bei Wolfgang Petersens Klassiker «Das Boot» hingegen von Beginn an geplant: Obwohl «Das Boot» seine Premiere als 150-minütiger Kinofilm erlebte, drehte Petersen zahlreiches zusätzliches Material, da die Fernsehsender WDR und SDR zu den Produktionsfirmen zählten und für eine Auswertung als ausführliche Miniserie mehr Filmstoff benötigten. Diese TV-Version dauert 300 Minuten (inklusive Rückblicke zu Beginn jedes Teils) beziehungsweise 293 Minuten (ohne diese Rückblicke), Petersens bevorzugte Fassung läuft jedoch 208 Minuten und kam erst 1997 in die Kinos.
Ganze sieben Schnittfassungen hat unterdessen Ridley Scotts Sci-Fi-Meilenstein «Blade Runner» zu bieten, wobei die bekanntesten die ursprüngliche US-Kinofassung mit einem vom Studio bevorzugten Ende, eine brutalere Action zeigende internationale Version, ein vermeintlicher „Director's Cut“ und der „Final Cut“ sein dürften. Obwohl schon der so genannte „Director's Cut“ das von Scott intendierte Ende zeigt, entstand diese Fassung nur nach groben Angaben des Regisseurs – die Zusammenstellung erfolgte hingegen durch den Filmhistoriker Michael Arick. Erst die 2007 veröffentlichte „Final Cut“-Edition wurde durchgehend von Scott kontrolliert und zeigt das Werk so, wie Scott es sich in den Achtzigern erträumte.
Auch Oliver Stones «Alexander» kann kaum über einen Mangel an Schnittfassungen klagen: Das monumentale Biopic über Alexander den Großen kam 2005 ursprünglich mit einer Laufzeit von 175 Minuten in die Kinos, wurde jedoch von Kritikern und Kinogängern sehr schwach aufgenommen. Ein Jahr später erschien ein von Stone erstellter „Director's Cut“ auf DVD, in dem 17 Filmminuten der Kinofassung fehlen und neun neue Minuten an Material zu sehen sind. Wenige Jahre später reichte Stone „The Final Unrated Cut“ nach, eine Version des Films, die sich von der Erzählweise her stärker an klassischen Leinwandepen orientiert, wie sie einst Cecil B. DeMille verwirklichte und in der zugleich auch Alexanders Bisexualität stärker betont wird. Stone bezeichnete diese von Kritikern wärmer aufgenommene Version als seine „klarste Interpretation“ des Materials, änderte 2012 allerdings seine Ansicht: Ihm erschien sein 219 Minuten dauernder „Final Cut“ als unnötig lang, weshalb er in einer neuen Edition namens „Ultimate Cut“ 13 seiner Ansicht nach überflüssige Minuten heraus schnitt. Diese Fassung soll im Sommer dieses Jahres auf Blu-ray erscheinen.
Doch nicht immer werden längere Schnittfassungen bekannter Filme gut besprochen. Francis Ford Coppola etwa spaltete 2001 seine Fans mit «Apocalypse Now Redux», einer 50 Minuten längeren Version seines Anti-Kriegsfilms aus dem Jahre 1979, der mit seinen 153 Minuten Laufzeit und einem gemächlichen Tempo trotz seiner Qualität bereits eine kleine Herausforderung für den Zuschauer darstellt. Jahre zuvor verdeutlichte zudem Stanley Kubrick, generell ein Freund ausführlicher Filme, dass er die knapp zweistündige europäische Fassung von «Shining» der 143-minütigen US-Version vorzieht. Und auch gegen die modernen „Unrated“-Versionen erfolgreicher Kinokomödien gibt es immer wieder Einsprüche – so etwa von Todd Phillips, dessen Kassenschlager «Hangover» fürs Heimkino auch in einer neun Minuten längeren, laut Marketing wilderen Fassung zu erwerben ist. Wie der Regissseur 2011 jedoch in einem
Interview deutlich machte, entstand diese Edition gegen seinen Willen und die zusätzlichen Filmminuten sei einzig und allein „Material, dass aus gutem Grund rausgeschnitten wurde.“
Die Suche nach der idealen Fassung eines Kinofilms kann also zuweilen ein Abenteuer sein. Oder im Falle von «Dinosaurier 3D – Im Reich der Giganten» ein kostspieliges Unterfangen. Aber immerhin gibt es bei den meisten Produktionen die Möglichkeit der Wahl – und das ist schon ein ansehnlicher Luxus für Filmliebhaber.