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Die Kritiker: «Inspektor Jury - Tod des Harlekins»

In seiner neuen Folge will «Inspektor Jury» very british sein – vergisst in einem oberflächlichen Panoptikum des Englischen allerdings die weniger Pittoresken Merkmale von Brexit-Land.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Fritz Karl als Inspektor Jury
Götz Schubert als Melrose Plant
Arndt Schwering-Sohnrey als Sergeant Wiggins
Katharina Thalbach als Agatha Ardry
Franziska Junge als Lily Siddons
Max von Pufendorf als Julian Crael
Cornelius Obonya als Adrian Rees

Hinter der Kamera:
Produktion: Crazy Film GmbH, Epo-Film, ORF und ZDF
Drehbuch: Günter Knarr
Regie: Marcus Ulbricht
Kamera: Guntram Franke
Produzenten: Dirk Eggers, Philipp Weinges und Günter Knarr
Inspektor Jury (Fritz Karl) ermittelt sich mit seinem hochtrabenden Kollegen Melrose Plant (Götz Schubert) und Pausenclown Sergeant Wiggins (Arndt Schwering-Sohnrey) wieder durch die englische Provinz. Irgendwo im Niemandsland von Yorkshire, wo der Himmel außerhalb des Sommers ein so tristes Grau annimmt, dass selbst Unmengen des nach der Landschaft benanntes Puddings kaum die Stimmung heben können, ist die Adoptivtochter eines vermögenden Colonels dahingemordet worden. Die Wiedersehensfreude war groß gewesen, denn das Mordopfer war nach zwanzigjähriger Abwesenheit erst vor kurzem wieder nach Hause auf den alten Landsitz zur Familie gekommen. Der Vater hatte sie mit offenen Armen empfangen, doch sein Sohn Julian (Max von Pufendorf) äußerte nimmermüde deutliche Bedenken: Die angebliche Adoptivtöchter könnte ja genauso gut eine Gaunerin sein, die es nur auf das opulente Vermögen der Familie abgesehen hatte.

Als die nun tot in einem Harlekinskostüm an den Klippen aufgefunden wird, richtet sich Jurys Verdacht natürlich zuerst auf Adoptivbruder Julian. Doch der hat ein lupenreines Alibi: Zur fraglichen Tatzeit kam es zwischen ihm und seinem Vater zum öffentlichen Eklat. Jury, Plant und Wiggins ermitteln sich nun also durch diesen aus nordostenglischen Klischees von einerseits ländlicher Idylle und andererseits restlos abgewirtschafteten Sozialstrukturen zusammengeklaubten Versatzstücken: exzentrischen Großgrundbesitzern, vernachlässigten Kindern, versoffenen Kunstmalern, weggesperrten Verrückten.

Interessant ist bei dieser Konstellation, dass «Inspektor Jury» keinerlei Interesse daran hat, sich den diffizilen und an dramatischem Potential reichen gesellschaftlichen Verwerfungen der Gegend als Sozialdrama zu nähern, sie gleichzeitig jedoch in seinem anglophilen Panoptikum auftreten lassen will: Einem Jungen sagt man, seine alleinerziehende Mutter sei gerade in Schottland, um die kranke Oma zu pflegen, dabei ist sie mit irgendeinem Typen auf Nimmerwiedersehen abgehauen. Und der versoffene Maler, der das tote Harlekin wohl als letzter lebend gesehen hatte, betrinkt sich den ganzen Tag wohl nicht nur aus künstlerischer Frustration, auch wenn er im Suff gerne Dostojewskij zitiert.

In jedem Fall hat es etwas erzählerisch Verlogenes, dass diese Motive bei «Inspektor Jury» klar ins Hintertreffen geraten vor den melodramatischen Verwicklungen eines steinreichen alten Militärclans und seines intrigierenden Personals. Wer die Brexit-Hochburg kennt, weiß, dass die Probleme an anderen Stellen liegen: am gescheiterten Strukturwandel, hoffnungslos überlasteten Sozialsystemen, einer Sich-Selbst-Überlassung der örtlichen Bevölkerung durch einen Staat, der mit seinem Sitz in London nicht nur geographisch weit weg ist, und an der damit einhergehenden zwischenmenschlichen wie gesamtgesellschaftlichen Verrohung, der Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, der unbändigen Tristesse, die einen so zu ersticken und deprimieren droht wie das abstoßende Grau-in-Grau-Wetter, bei dem sich «Inspektor Jury» mit eindeutig deplatzierten filmischen Prioritäten so große Mühe gibt, es als pittoresk und charmant zu inszenieren. Dieser Film hat überhaupt kein Interesse an seinem Spielort, das auch nur ein bisschen über seine hübsche Landschaft und eine stereotype „Englischheit“ hinausginge.

Heraus kommt eine seltsame Amalgamierung aus liebenswerter, aber in ihrer überkandidelten Durchgeknalltheit doch abschätzig konnotierter Exzentrik, Sozialproblemen und einem schlichten, dramaturgisch wie inszenatorisch mittelmäßigen Mordfall, eingebettet in ein einlullendes Voice-Over, das mit geschwollenen Phrasen ein wenig so tun soll, als wollte man sich hier ernsthaft mit Themen wie Gerechtigkeit, Sünde, Schuld und Erlösung beschäftigen. Ein wenig so als mischte man Wodehouse (allerdings ohne die Menschenfreude seiner Figurenzeichnungen), Trollope (allerdings ohne sein waches Beobachterauge) und Dickens (allerdings ohne seine Sozialkritik), in der Erwartung, als Ergebnis stünde etwas, das unzweifelhaft quintessentially English sein müsste. Sod off!

Das ZDF zeigt «Inspektor Jury – Der Tod des Harlekins» am Mittwoch, den 21. Februar um 20.15 Uhr.
20.02.2018 10:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/99157
Julian Miller

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Der Tod des Harlekins Inspektor Jury Inspektor Jury – Der Tod des Harlekins

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