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Bernd Mathieu: 'Die Reichweite war nie höher'

Der Chefredakteur der Aachener Zeitung, Prof. Bernd Mathieu, findet deutliche Worte zu Merkel und Schulz. Sein Medienhaus sieht er trotz sinkender Print-Auflagezahlen gut für die Zukunft gerüstet.

"Leeres Worthülsen-Politblabla mit sofortigem Mandatsentzug bestrafen"

  1. Wissen Sie schon, wen Sie im Herbst wählen werden oder müssen Sie sich erst noch entscheiden? B. Mathieu: Ich weiß es noch nicht endgültig, aber wahrscheinlich. Jedoch: Ändern kann sich immer noch etwas.
  2. Wen würden Sie gerne einmal interviewen - und was würden Sie ihn fragen? B. Mathieu: Keinen Deutschen, sondern Queen Elizabeth. Fragen? So viele: von Brexit bis Charles, dem ewigen Thronfolger. Und, und, und.
  3. Wie können Sie als Journalist gegen Politik-Verdrossenheit vorgehen? B. Mathieu:Überprüfbare Fakten vermitteln; Dialogforen schaffen; zuhören; wenn berechtigt: widersprechen. Vor allem: ernst nehmen. Zeit nehmen.
  4. Haben Sie jemals überlegt, selbst in die Politik zu gehen? B. Mathieu: Ja. Vor vielen Jahren. Journalismus ist – mein Eindruck – vielseitiger und unabhängiger. Also war die Entscheidung klar.
  5. Was würden Sie tun, wenn Sie einen Tag lang Bundeskanzler wären? B. Mathieu: Leeres Worthülsen-Politblabla mit sofortigem Mandatsentzug bestrafen. Und das Kabinett an manchen Positionen ändern.
Aachen gilt als westlichste Großstadt Deutschlands. Ihr Wahrzeichen ist der Aachener Dom, der vor 1200 Jahren von Karl dem Großen erbaut wurde. Aachen ist eine junge Stadt, unter deren 250.000 Einwohnern sich mehr als 50.000 Studenten befinden. Und auf politischer Bühne ist Aachen in den letzten Monaten ein gutes Stück relevanter geworden - zumindest unter geographischen Gesichtspunkten. Im Mai gewann der Aachener Armin Laschet die NRW-Landtagswahl und wurde anschließend zum Ministerpräsidenten gewählt. Der derzeitige SPD-Chef und Kanzlerkandidat, Martin Schulz, kommt aus Würselen, das in direkter Nachbarschaft zu Aachen liegt.

Im lokalen Print-Journalismus spielen in Aachen und Umgebung die Aachener Zeitung (AZ) sowie die Aachener Nachrichten (AN) eine dominante Rolle. Chefredakteur der zwei Zeitungen ist Prof. Bernd Mathieu, Jahrgang 1954. Seit mehr als 20 Jahren steht er an der Spitze der AZ. Dem Medium selbst ist er schon viel länger treu, sein Volontariat begann er 1979 bei der Aachener Volkszeitung - dem Vorläufer der heutigen AZ.

Als geborener Aachener kennt Mathieu SPD-Kanzlerkandidat Schulz gut. Für seine Zeitung hatte er mehrmals die Chance, Schulz zum Interview zu treffen, zuletzt vor wenigen Tagen. Dabei erlebte er ihn vor Wochen zunächst anders als noch zu seiner Zeit als EU-Parlamentspräsident. „Nicht mehr so souverän, nicht mehr so zielorientiert auf seinem früher so individuellen und klaren Weg, durch den Wahlkampf verplanter und weniger spontan. Ich bedauere das sehr“, bekennt der Chefredakteur.

„Spürbar zu seiner alten Kämpfernatur zurückgekehrt“


Aber: „Jetzt, mit Beginn der heißen Wahlkampfphase, ist er jedoch spürbar zu seiner alten Kämpfernatur zurückgekehrt.“ Und Angela Merkel? Sie wirkte bei einem Interview im Mai vor der NRW-Landtagswahl „gelassen wie immer“, wobei ihre Antworten häufig wie gestanzt gewesen seien. „Wenig überraschend und nach der unsäglichen Autorisierung noch glatter gebügelt“, sagt Mathieu. Welche Chancen er Martin Schulz gegen Angela Merkel im Wahlkampf einräumt? „Nicht die besten, trotz der vielen noch Unentschiedenen.“

Doch woran liegt es, dass die SPD nicht einmal einen Monat vor der Wahl Umfragen zufolge mehr als 15 Prozentpunkte hinter der Union liegt? Mathieu sieht mehrere Gründe: Die SPD habe zu Beginn des Wahlkampfs die „falschen Themen falsch präsentiert mit der falschen Strategie und einer teilweise kindischen Performance.“ Er bemängelt, dass Schulz der Kanzlerin einen „Angriff auf die Demokratie“ und „Zynismus“ in der Flüchtlingsfrage vorgeworfen habe. „Außerdem stimmte zuweilen die Rollenverteilung zwischen Schulz und Gabriel nicht“, meint Mathieu weiter.

„Erreichen mehr Leute denn je“


Was würden Sie jungen Menschen raten, die heutzutage Journalisten werden wollen, Herr Mathieu?

B. Mathieu: "Macht es! Journalismus ist einer der faszinierendsten und in Zeiten von Fake News wichtigsten Berufe. Entscheidet Euch für eine solide Ausbildung/Studium etc. und kümmert Euch um Politik und Entwicklungen in Eurer Gesellschaft. Bleibt aufmerksam. Sagt, was ist. Nehmt keine falschen Rücksichten. Macht Euch nie zu Kumpanen. Werdet nicht zynisch. Vermeidet Überheblichkeit. Entwickelt Euren individuellen Stil. Lernt von den Guten und den Besseren – ohne Neid, sondern mit Anerkennung. Habt Respekt vor den Menschen, aber nehmt keine falschen Rücksichten, wenn man gewissen Akteuren auf die Füße treten muss; denn Zeitungen sind keine Konsensmaschinen. Bildet Euch ständig weiter; denn nur so bleibt Ihr auf Augenhöhe. Kurzum: Die Komfortzone regelmäßig verlassen, alles, was wir glauben zu wissen, in Frage stellen und noch mal von vorne anfangen können."
Seine eigene Zeitung liest Mathieu im Verbreitungsgebiet als Print-Version. Warum es ihn nie weg von der Zeitung hin zum Radio oder Fernsehen verschlagen hat? „Weil ich hier stets eine interessante Herausforderung hatte und lieber schreibe statt rede“, sagt er. „Und jetzt, im hohen Alter, bin ich digital gerne zusätzlich zum Print unterwegs, zuletzt mit dem Format «CHIO 5» - jeden Tag ein Fünf-Minuten-Video vom größten Reitturnier der Welt.“ Auch führe er im Rahmen der Video-Formate seines Verlags regelmäßig Politiker-Interviews, zuletzt mit Martin Schulz.

Um den Fortbestand seiner Zeitung macht sich Mathieu wenig Sorgen - ganz im Gegenteil verweist er auf Erfolge der jüngeren Vergangenheit. „Die Reichweite war nie höher: Mit unseren Online-Angeboten erreichen wir mehr Leute denn je. Dass die Print-Auflagen sinken, wird niemand mehr ändern. Das ist die Herausforderung Nr. 1.“, so der Chefredakteur.

Deshalb investiere sein Haus in multimediale Angebote und setze seit 2013 auf die multimediale Ausbildung seiner Nachwuchskräfte. Zu den Partnern gehörten unter anderem der WDR, die RTL-Journalistenschule, «hart aber fair», Phoenix, Centrum für Europäische Politik (Freiburg) und noch einige mehr. „Gute Nachwuchsleute zu finden, qualifiziert auszubilden und möglichst danach als Redakteurinnen und Redakteure zu übernehmen, das ist eine weitere Herausforderung. Wir haben sie – bislang mit Erfolg – angenommen“, bilanziert Mathieu. Online arbeitet sein Verlag mit einem Bezahlsystem als Abo. Seine Zeitung habe „nur gute Erfahrungen“ mit dem Modell gemacht - es hätte noch früher eingeführt werden sollen, ist sich der Chefredakteur sicher.

Ehrenamtliche, Karlspreisverleihungen, Alemannia


Auf den Vorwurf der Lügenpresse reagiere man unterdessen am besten mit journalistischer Haltung, findet Mathieu. „Fast jeden Tag wirft uns irgendjemand etwas vor, wenn wir nicht hundertprozentig seine Meinung wiedergeben, seinen zuweilen seltsamen Standpunkt teilen und ihm nach dem Mund schreiben oder reden. Wir antworten solchen Menschen. Meistens melden sie sich nicht mehr, was ich sehr bedauere“, bekennt Mathieu. Er habe bereits mehrmals angeboten, die betreffenden Personen persönlich zu besuchen, um sie kennenzulernen. Von etwa 20 habe sich bislang niemand darauf einlassen wollen.

Doch was bleibt Mathieu nach mehr als 20 Jahren als Kopf der AZ in besonderer Erinnerung? Der Chefredakteur vermag es nicht, sich auf ein einzelnes Ereignis zu beschränken. Er verweist etwa auf den Karlspreis, der jedes Jahr in Aachen an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Manche Karlspreisverleihung sei ihm dabei positiv, andere wiederum negativ in Erinnerung geblieben. Weiter nennt er den Niedergang von Alemannia Aachen - jener Fußballmannschaft, die noch vor zehn Jahren in der ersten Liga spielte und inzwischen beispiellos abgestiegen ist. Und noch eine letzte Sache fällt ihm ein: „Die ehrenamtlichen Leistungen so vieler Menschen hier in der Region vor allem bei der Betreuung von Flüchtlingen. Das ist einzigartig“, sagt er.
28.08.2017 11:52 Uhr Kurz-URL: qmde.de/95366
David Grzeschik

super
schade


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CHIO 5 hart aber fair

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