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Zum Lachen zu Netflix gehen

Netflix hat es auf das Comedy-Geschäft abgesehen, während sich viele andere Sender immer weiter davon entfernen. Nicht nur Comedian Jerry Seinfeld profitiert davon.

Vor Kurzem verkündete Netflix, dass die berühmten Komiker Sarah Silverman und Louis CK Exklusiv-Verträge beim Streaming-Riesen unterschrieben haben. Für die produktiven Stand Up-Comedians könnte sich der Anbieter als passendes Zuhause erweisen, lieben doch beide ihre kreativen Freiheiten. CK produziert seine jährlichen Comedy-Specials selbst und führt gelegentlich sogar Regie. Auch bei seinen Serien «Louie» und «Horace & Pete» erweist er sich als Autor, Regisseur und Produzent immer wieder als Multitalent. Sarah Silverman arbeitet ebenfalls seit langer Zeit mit ihren Stand Up-Auftritten und -Specials, ihrer eigenen Show «The Sarah Silverman Program», und diversen Haupt- und Nebenrollen in großen wie kleinen Filmen an einer facettenreichen Karriere. Beide sind sehr gefragt in ihren jeweiligen Nischen.

Netflix schloss schon zuvor ähnliche Verträge mit populären Comedians wie Chris Rock, Dave Chappelle, Jerry Seinfeld, Amy Schumer, Patton Oswalt und David Cross ab. Aber auch weniger international bekannte Komiker wie Neal Brennan, Jen Kirkman, Aziz Ansari, Hannibal Buress und Ali Wong durften bereits ein Stück vom Streaming-Kuchen abhaben. Sogar die mittlerweile verstorbene Legende Richard Pryor fand hier posthum ein Zuhause und bringt nun zusammen mit seinen noch lebenden Kollegen die ganze Welt zum Lachen. Nicht zu vergessen der deutsche Komiker Dieter Nuhr, der hier ebenfalls seine neuesten Witze zum Besten geben darf. Ein großer Vorteil des Streaming-Services: Comedy-Künstler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, haben die Chance, international bekannter zu werden.

Kreativer Spielraum macht Netflix auch im Comedybereich zum HBO-Konkurrenten


Der kreative Freiraum, die der Service bietet, hat seinen Ursprung natürlich im Geschäftsprinzip. Netflix misst seine Erfolge nach anderen Metriken als die auf Einschaltquoten bedachte Konkurrenz. Viele der neuen, komödiantischen Schützlinge wissen scheinbar mit der neuen Freiheit noch nicht viel anzufangen, allerdings lässt das Format des Comedy-Specials nicht unbedingt einen großen kreativen Spielraum zu. Letztendlich handelt es sich um einen Menschen, der auf einer Bühne steht und anderen Menschen Witze erzählt. Der Nachwuchs traut sich in dieser Hinsicht jedoch einiges mehr zu: Ali Wong stellte sich hochschwanger auf die Bühne und machte so ziemlich jeden Aspekt ihrer Schwangerschaft zum Thema. «Hannibal Bures erobert Edinburgh» folgt dagegen dem Comedian bei seinem Aufenthalt auf dem „famed arts festival“, bei dem er sein Stand Up-Programm 28 Tage in Folge präsentierte.

Wie auch in vielen anderen Gefilden, sei es der Serienwelt, der Dokumentationswelt oder der TV-Filmwelt, wird Netflix auch im Comedy-Zweig zu einem ernstzunehmenden Gegner und Konkurrenten für HBO. Der Pay-TV-Sender bot vor allem in den 90ern jüngeren und älteren Komödianten eine lukrative, kuschelige Heimat und etablierte sich als große Talentschmiede. Auch solche Comedians, die öfters mal sprachlich ausfällig wurden (was auf die meisten zutrifft), mussten dort kein Blatt vor dem Mund nehmen, was bei Networks wegen der FCC-Richtlinien bis heute problematisch ist. Die Federal Communications Commission (FCC) achtet unter vielen anderen Dingen auch darauf, dass man sich bei den Networks sauber ausdrückt. Allerdings zieht sich HBO mittlerweile sogar aus diesem Feld zurück. Nur zum Vergleich: Während HBO im vergangenen Jahr gerade drei Stand Up-Specials produzierte, füllte Netflix seine Bibliothek mit 25 Comedy-Specials. Ted Sarantos, Chief of Content bei Netflix, ließ 2016 verlauten, dass der Streaming-Service etwa sechs Milliarden Dollar für neue Inhalte ausgeben werde. Wieviel davon in neue Comedy-Specials fließen wird, ist unbekannt, aber es wird nicht wenig sein.



Netflix sieht hier womöglich eine Nische, in der es sich einzusteigen lohnt. Und während sich andere Sender vom Comedy-Business entfernen, entwickelt sich das Streaming-Angebot zur einzigartigen Anlaufstelle für junge Aufsteiger und alte Hasen im Comedy-Geschäft. Der Streaming-Service konnte auch im vierten Quartal des letzten Jahres einen großen Anstieg an Abonnenten verzeichnen, was wiederum positive Auswirkungen auf den Aktienkurs hatte. Aktienkurse und Comedy mögen zwar nicht unbedingt zusammenpassen, aber diese Art von finanziellen Schüben helfen Netflix ein wenig beim Experimentieren. Für deutsche Stand Up-Fans handelt es sich ebenfalls um einen klaren Vorteil, waren sie bisher auf bestenfalls sporadische DVD-Veröffentlichungen angewiesen.

Seinfeld geht schnell Kaffee holen und kommt mit einem Netflix-Vertrag zurück


Comedian Jerry Seinfeld

Jerry Seinfeld wurde am 29. April 1954 in Brooklyn, New York geboren. Er wuchs im Bundesstaat New York auf und studierte auch dort. Schon zu College-Zeiten machte er seine ersten Erfahrungen als Stand Up-Komödiant und konnte kleinere Fernsehauftritte ergattern. National bekannt wurde er vor allem durch seine erfolgreichen Auftritte bei «The Tonight Show starring Johnny Carson» und «Late Night with David Letterman». 1988 folgte die von ihm und Comedy-Kollegen Larry David geschriebene und produzierte Sitcom «Seinfeld». Die Serie machte ihn auch international berühmt und stellt bis heute eine der erfolgreichsten Comedy-Serien aller Zeiten dar. Danach kehrte er ins Stand Up-Geschäft zurück. Nach kleineren Auftritten in Webserien, Gastauftritten bei «30 Rock» und «Lass es, Larry!», stellt «Comedians in cars getting coffee» sein erstes größeres und langfristiges Projekt seit dem frühen «Seinfeld»-Erfolg dar.
Auch Jerry Seinfeld ist einer dieser Comedians, der immer Freiheiten suchte und seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Mit Erfolg. Seine Sitcom «Seinfeld» bringt ihm bis heute große Tantiemen ein. Dennoch sah er sich selbst immer vielmehr als Vollblut-Komödiant, dessen Zuhause die Bühne eines Comedy Clubs ist. So arbeitete er auch nach seinem NBC-Erfolg stets und unbeirrbar an neuem Material, aber erforschte schon fast wissenschaftlich, was Comedy ist, was sie sein kann oder sein sollte, und warum sie uns zum Lachen bringt.

Im Grunde geht es in seiner mittlerweile neun Staffeln umfassenden Sendung «Comedians in cars getting coffee» kaum um etwas Anderes. Bisher wurde die Interview-Show auf der Internet-Plattform Crackle zur Verfügung gestellt. Für Seinfeld war dies ein ungewöhnlicher Schritt, denn viele Networks oder Kabelsender hätten sich bestimmt die Finger danach geleckt, den einfallsreichen Komiker unter Vertrag zu nehmen. Seinfeld entschied sich jedoch für die neuen Medien und wollte wieder einmal ein wenig mit dem Kopf durch die Wand. Jedes Online-Interview dauert 12 bis 20 Minuten. Schon allein deswegen musste er sich Kritik gefallen lassen. Sowohl Facebook als auch Yahoo teilten dem Komiker mit, dass eine Laufzeit von fünf Minuten pro Video nicht überschritten werden sollte. Howard Schultz, Vorstandsvorsitzender von Starbucks, wollte den Komiker nicht einmal mehr sponsern. Eine Entscheidung, die bei einer Jerry Seinfeld-Sendung mit „Kaffee“ im Titel vielleicht nicht unbedingt zu den klügsten gehörte.

Nicht nur der Erfinder der Show ist eigensinnig, auch das Format selbst wird vielleicht nicht jedem sofort ans Herz wachsen. In jeder Episode schnappt sich der Komödiant ein anderes Fahrzeug und fährt bei seinem Interviewpartner vorbei. Das kann eine alte Familienkutsche, ein Oldtimer und Klassiker oder ein moderner Sportwagen sein - Patton Oswalt holte er sogar mit dem berühmten «Zurück in die Zukunft»-Delorean ab. Auf dem Weg zum Coffee-Shop wird im Auto gequatscht und im Coffee-Shop wird ebenfalls gequasselt. Im Grunde bekommt der Zuschauer exakt das geboten, was der Titel verspricht - nicht mehr und nicht weniger. Dabei geht es allerdings weniger um die Promotion aktueller Projekte, sondern vielmehr um einen lockeren Austausch, um das Wesen des Showbusiness und der Komödie zu ergründen sowie die unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Talente zu analysieren. Ein gemütlicher Coffeeshop in New York oder Los Angeles stellt bei dieser Unternehmung ein entspanntes und deswegen passendes Setting dar.

Es handelt sich aber keineswegs um einen trockenen, wissenschaftlichen Dialog, dazu wird viel zu viel zwischendurch herumgeblödelt. Jedes Interview wirkt spontan und menschlich, die Konversationen weder vorgeschrieben noch einstudiert und die Witze nicht aufpoliert. Gerade für Seinfeld war es wichtig, die Komödianten von einem Publikum fernzuhalten, damit diese nicht automatisch auf ihre standardisierte Comedy-Routine zurückgreifen, wie es oftmals bei Late Night-Auftritten der Fall ist. Dennoch sollte man sich nichts vormachen, Comedians sind zu einem großen Teil narzisstisch veranlagt und machen kaum etwas lieber, als über sich selbst zu reden. Natürlich sind sie sich auch dessen vollends bewusst. Trotzdem entstehen aus den Gesprächen manchmal fast schon philosophisch angehauchte, zumindest aber immer sehr tiefsinnige Reflexionen über das Showgeschäft oder das Leben selbst.

Kein Wunder also, dass sich eine ganze Reihe von prominenten und vor allem witzigen Menschen nicht lange bitten lassen: Larry David, Ricky Gervais, Alec Baldwin, Comedy-Legenden Carl Reiner und Mel Brooks, Sarah Silverman, Amy Schumer, David Letterman, Tina Fey, Jon Stewart, Fred Armison, Julia Louis Dreyfus, Stephen Colbert und viele mehr befinden sich mittlerweile auf der stetig wachsenden Liste prominenter Quatschmacher, die sich zu Seinfeld ins Auto setzten. Verwunderlich ist dies nicht, denn er ist in der Showbranche äußerst beliebt. Auch als Zuschauer fühlt man sich schnell in die Konversationen mit eingebunden, als würde man auf dem Rücksitz oder dem Tisch nebenan Mäuschen spielen.

«Comedians in Cars getting Coffee» kommt betont unspektakulär daher. Es geht um Familie, Werdegang und die Liebe zur Comedy. Niemand hat es darauf abgesehen, in jeder Minute eine neue, perfekte Pointe zu liefern. Jede Episode benötigt in etwa ein Budget von 100.000 Dollar. Eine Summe, die Netflix wahrscheinlich mühelos aufbringen kann. Wer weiß, vielleicht sieht die Interviewreihe in ihrer neuen Inkarnation sogar völlig anders aus. Jedoch wäre es schade, wenn die Gespräche ein Stück von ihrer zurückhaltenden Identität und Intimität verlieren würden.
02.03.2017 12:03 Uhr Kurz-URL: qmde.de/91556
Stefan Turiak

super
schade


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