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«4 geben alles»: Eine Eurovisions-Familienshow der alten Schule

Fernsehdeutschland ist im Revival-Fieber. Die frisch gestartete ZDF-Spielshow «4 geben alles» zeigt indes, dass auch neue Konzepte dienlich sein können, um das gute, alte Wohlfühlfernsehen am Leben zu erhalten.

Unterhaltung verläuft in Zyklen. Nachdem es eine Phase gab, in der normalsterbliche Menschen abseits von Castings kaum noch etwas in Unterhaltungssendungen zu suchen hatten, weil sich sonst alles nur noch um Promiduelle und Starquizshows drehte, kehrt nun die klassische Spielshow Schritt für Schritt zurück. Teils in Form von Remakes, teils durch neue Konzepte wie Kerners Familienabende – oder nun mit «4 geben alles».

Der rote Faden, der sich somit durch TV-Deutschland zieht: Jahrelang dominierten Castings, in denen Kandidaten gedemütigt wurden, und Promi-Peinlichkeiten die Showunterhaltung. Jetzt zieht es uns gen Wohlfühlsendungen. Ob «Die Höhle der Löwen» zeigt, dass auch Multimillionäre willens sind, kleinen Unternehmern zu helfen, in «The Voice of Germany» Popstars junge Talente unterstützen oder 90er-Spielshow-Neuauflagen ganz heimelig für Ratespaß in bunter Kulisse sorgen, ohne dabei zu sehr auf den Wettbewerbscharakter zu schielen. Wer Drama sucht, hat genügend Qualitätsserien zum Abruf bereit. Wer verbissene Wettkämpfe sehen möchte, hat eine steigende Auswahl an Sportübertragungen zur Hand. Unterhaltungsshows abseits der ironischen jungen Wilden dienen derweil wieder als televisionäres Lagerfeuer – wenngleich sich längst nicht mehr so viele Menschen um sie versammeln wie einst.

In eben diesem TV-Klima startet mit «4 geben alles» eine Samstagabendshow, die in jeglichem Sinne wie eine 90er-Primetime-Show anmutet: Eine warmherzige Eurovisions-Sendung, in der Kandidaten aus Deutschland, Österreich und Schweiz antreten und einen kunterbunten Kessel aus Spielen zu bewältigen haben. Keine Promiteilnehmer und -paten, dafür ein bei falschen Antworten kippendes, erhöht stehendes Sofa und diverse Spiele, die (über zwei Ecken gedacht) mit dem Familienleben zu tun haben – sowie Ratespiele darüber, wie gut man sich eigentlich kennt. Es ist quasi die Fortsetzung der sympathischen ARD-Show «Flitterabend», wo noch frisch vermählte Paare eben diese Aktionen durchgemacht haben – nun sind es halt vierköpfige Familien.

Nachdem im Netz die Neuauflagen diverser 90er-Formate weitestgehend gefeiert wurden, hat es «4 geben alles» als bloß inoffizielles Revival des typischen Samstagabendshow-Feelings von damals etwas schwerer, sein Publikum zu finden – fehlt doch die wiedererkennbare Marke als Titel. Daher bleibt zu hoffen, dass sowohl das ZDF als auch die Fernsehzuschauer dem neuen Format lang genug Zeit geben, sich völlig einzugrooven. Denn das Potential, sich als neue Sendung nach alter Schule dauerhaft zu etablieren, ist vorhanden – es bräuchte nur noch etwas Feinschliff in der Umsetzung sowie genug Aufgeschlossenheit der Zuschauer, das 90er-Gefühl auch unter neuem Namen zu suchen.

Dass die Premiere nicht schon völlig im Alleingang beweist, auf lange Zeit einen Platz im ZDF-Programmablauf verdient zu haben, liegt vornehmlich an Kleinigkeiten, aus denen es sich schnell lernen lässt. Wie etwa die Teilnehmerauswahl: Löblich ist, dass die Produzenten auf nervtötende Selbstdarsteller verzichtet haben. Zum Showauftakt ist man jedoch übers Ziel, nicht zu stark anzuecken, hinausgeschossen und hat drei Familien zusammengestellt, die so ähnlich und harmonisch waren, dass sie quasi nur durch ihren jeweiligen Akzent zu unterscheiden waren – das mindert logischerweise den Mitfieber-Faktor.

Eine weitere Lektion, die die «4 geben alles»-Macher aus der Premiere mitnehmen sollten, betrifft die Einteilung der Spiele: Der Showabend fing mit Aktionen an, die ein eher gedrosseltes Tempo haben. So sollten alle Familien je einen Container so gestalten, dass sie sich darin wiedererkennen – das Saalpublikum durfte seinen Favoriten auswählen. Dem Popularitätsgrad entsprechend wurden Punkte verteilt – eine gute Abwandlung üblicher Vorstellungsvideos und ein nettes Spiel, aber halt langwierig, so dass danach etwas mehr Action willkommen gewesen wäre. Außerdem zeigten aufwändig produzierte Einspieler, wie die Familien die Väter durch Bangkok dirigieren mussten, darüber hinaus mussten die Eltern in einem „Wie gut kennen wir uns“-Quiz die Antworten ihrer Kinder einschätzen. Und ein etwas langgezogenes, aber spaßiges Spiel forderte die Familien zu einem visuellen Stille-Post-Wettbewerb mit Grimassen heraus. Das letzte Showdrittel zog dann enorm das Tempo an, mit diversen raschen Aktionsspielen wie Mülleimerwerfen und Zuckerwürfelstapeln. An und für sich eine amüsante, abwechslungsreiche Zusammenstellung an Spielen – nur die Reihenfolge sorgte für ein Ungleichgewicht in der Showdramaturgie.

Die Spielideen stimmen jedoch, so wurde der stets schwierige Faktor, alle Familienmitglieder gleich zu fordern, problemlos gemeistert – und im Gegensatz zu manch anderen jungen ZDF-Showformaten wurde sich nicht auf den Niedlichkeitseffekt der Kinder ausgeruht. Generell war der Tonfall des Formats schon zum Auftakt ausgewogen – ganz im Stile einer 90er-Spielshow für die ganze Familie. Drohende Klippen wurden gekonnt umschifft: So mussten alle Familien Mutters jeweiligen Lieblingssong in einen Lobgesang auf sie umtexten. Die dazugehörigen Einspieler steuerten gegen den potentiellen Kitschfaktor an, indem ulkigere Dialogwechsel gezeigt wurden (Sohn schlägt als Text „Du bist die perfekte Mami und für Papi die perfekte Frau“ vor, Vater zuckt unsicher mit den Schultern), außerdem wurde das Ergebnis vorab unter Tim Bendzkos Mitwirkung aufgenommen – und nicht etwa live gesungen, was für die Familien weniger schmeichelhaft gewesen wäre. Das Ergebnis: Zu gleichen Teilen witzig und rührend – genau das richtige für diese Show. Der Ansatz, das Saalpublikum mit Marktforschungsarmbändern auszustatten und so zu messen, bei wem am meisten mitgefiebert wird, ist unterdessen eine clevere, zeitgemäße Weiterentwicklung des Applaus-o-meters.

Somit präsentiert sich «4 geben alles» als charmante Samstagabendshow im behutsam modernisierten 90er-Stil – Wohlfühlfaktor statt Metawitz und Superlative. Eine dynamischere Aneinanderreihung der Spielrunden und eine dezent mehr Ecken und Kanten zulassende Kandidatenzusammenstellung würde künftig allerdings die Spannungskurve anheben. Bis dahin ist das Format zwar kein Must-See, das man dringend in der Mediathek nachzuholen hat, wenn man es mal versäumt. An TV-Abenden wie dem heutigen ist es aber auch in der jetzigen Form die attraktivste Wahl.

Fazit: Gute Spiele, sympathischer Wohlfühlfaktor, doch in Sachen Spannung und showinterner Dramaturgie ist noch Verbesserungspotential gegeben: «4 geben alles» ist ein heimliches 90er-Show-Revival, das unterhält und sich einen Vertrauensvorschuss verdient hat – darauf aufruhen sollten sich die Macher aber noch nicht.
19.11.2016 23:28 Uhr Kurz-URL: qmde.de/89464
Sidney Schering

super
schade

52 %
48 %

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Tags

4 geben alles Die Höhle der Löwen Flitterabend The Voice of Germany

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Es gibt 10 Kommentare zum Artikel
martina.kröger
21.11.2016 19:39 Uhr 8
Ehrlich gesagt finde ich es ganz schön, dass es noch Eurovisions-Shows gibt. Mich haben allerdings tatsächlich die Armbänder im Endeffekt eher durch die abschließende Gewichtung der Ergebnisse, die dann quasi allein die Rangfolge betimmt hat, ohne das ich wirklich ehen konnte warum.



Mir haben besonders die Spiele gefallen, wo die Familienmitglieden vorher geübt und aus ihrer Mitte den Teilnehmer selbst bestimmen konnten, gefallen. Warum sollten nur Kinder gegen Kinder, Mütter gegen Mütter und Väter gegen Väter spielen?
P-Joker
21.11.2016 19:48 Uhr 9


Könntest du uns diesen Satz mal erklären? :lol:
martina.kröger
23.11.2016 12:10 Uhr 10
Ich werde es versuchen: Dadurch das direkt vorm Finale die Punkte aus den Spielen mit den ominösen Armbandwerten multipliziert wurden hat sich im Endeffekt quasi automatisch die Rangfolge der Armbandwerte ergeben. Zumal die Punktevergabe in den Spielen (3P. für Platz1, 2 für Platz 2 und 1 für den dritten) nicht gerade darauf ausgelegt war, große Punktunterschiede entstehen zu lassen.



Erlaube mir die Frage, ob du die Sendung gesehen hast oder nur den Artikel gelesen.
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