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„Mit linearem Fernsehen ist niemals Schluss!“

Radiomoderator und Fernsehblogger Michael Reufsteck über fragmentiertes Fernsehen, empfehlenswerte Streamingdienste, die Angst vor Spotify beim Radio und zu viele Entscheider bei ARD und ZDF.

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Zur Person: Michael Reufsteck

Der Radiomoderator, 41 Jahre alt, ist bei SWR3 derzeit in der Vorabendschiene (ab 18 Uhr) zu hören. Seine Leidenschaft ist aber auch das Fernsehen. Gemeinsam mit Stefan Niggemeier schrieb er das "Fernsehlexikon". Moderiert Reufsteck bei SWR3 nachts, dann macht er mit "Braunsche Röhre" auch ein Telefon-Quiz rund um Fernsehthemen.
Michael Reufsteck, als Experte für das Fernsehen spielen Sie im Radio seit fast 20 Jahren das Fernsehquiz "Braunsche Röhre". Heute sind Sie unser Kandidat. Vier Fragen zum Thema Fernsehen, aber wird eine Frage falsch beantwortet, ist das Interview sofort beendet. Sind Sie bereit?
Ich bin bereit.

Dann kommt hier die erste Frage: Wer hat die Fernsehröhre erfunden?
Das war der Herr Braun, auch wenn das nicht so ganz korrekt ist, wie mir Hörer immer wieder sagen. Aber nach 20 Jahren ist diese immer gleiche Einstiegsfrage auch mehr ein Running Gag als die Erfüllung unseres Bildungauftrags.

Inzwischen ist der Fernsehröhre dank Flachbildfernseher das Licht ausgegangen. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an das Fernsehen?
Das war mit Sicherheit die «Sesamstraße». Ich erinnere mich daran, dass damals die «Sesamstraße» in Rheinland-Pfalz, wo ich aufgewachsen bin, um 18 Uhr lief. Aber wenn ich die Sommerferien bei Verwandten in Nordrhein-Westfalen verbrachte, konnte ich die Sesamstraße schon morgens um neun Uhr sehen. Das war toll.

Als Jahrgang 1975 haben Sie die Hochzeit des Fernsehens noch mitbekommen: «Dallas» am Morgen, «Reich und Schön» am Mittag, das «Glücksrad» am Vorabend und die «ZDF Hitparade» mit Dieter Thomas Heck. Tut der Blick in die heutige Fernsehzeitschrift weh?
Das tut weh. Damals war aber nicht alles besser. Früher schaltete man den Fernseher ein und schaute, was gerade kam. Das kann man heute immer noch, aber wenn man einen gewissen Anspruch an sich selbst und an das Fernsehen hat, muss man aktiv werden. Es gibt heute mehr gute Sendungen als jemals zuvor, es ist eben nur sehr schwer, genau diese Sendungen zu finden, weil die etablierten Sender immer nur die gleichen Serien in einer Dauerschleife zeigen.

Wann ist Schluss mit linearem Fernsehen?
Ich glaube, dass mit linearem Fernsehen niemals wirklich Schluss sein wird. Man wird weiter senden, weil es immer weiter Leute gibt, die einfach einschalten und dann gucken, was kommt. Fernsehen ist ein Medium, dass man nicht gezielt einschalten muss, um eine Sendung zu sehen, sondern es kann im Hintergrund mitlaufen. Beim morgendlichen Zähne putzen lief schon früher das Morgenmagazin und abends dann die Late Night. Solange das Fernsehen auch ein Nebenbeimedium ist, wird es eine Existenzgrundlage haben. Nur der Traum von gezielten Einschaltimpulsen oder traumhaften Einschaltquoten ist von gestern.

Aber was ist dann mit der Fußball-WM, Olympia oder dem Dschungelcamp, die sehr sehr gute Einschaltquoten erreichen?
Dann nennen Sie mir mal fünf weitere Beispiele. Da wird es nämlich eng.

«Promi BigBrother», Fußballspiele der deutschen Nationalmannschaft, die «Tagesschau»...
«Promi-BigBrother» kann man doch nicht auf eine Stufe mit den Spielen der deutschen Nationalmannschaft stellen. Die Sendung kann froh sein, dass sie nicht als Flop in die Fernsehgeschichte eingegangen ist.

Für Sat.1 mit seinem einstelligen Senderschnitt sind die Quoten sehr erfreulich.
Warum wird ein Sender wie Sat.1 heute mitleidig angeschaut? Warum sagt man heute, dass die Quoten für einen kleinen Sender wie Sat.1 nicht schlecht sind? Der Sender war doch mal einer der Großen. Wie ist Sat.1 in diese Lage gekommen?
Michael Reufsteck
Warum wird ein Sender wie Sat.1 heute mitleidig angeschaut? Warum sagt man heute, dass die Quoten für einen kleinen Sender wie Sat.1 nicht schlecht sind? Der Sender war doch mal einer der Großen. Wie ist Sat.1 in diese Lage gekommen?

Sagen Sie es mir.
Ich weiß es nicht genau. Ich stelle aber fest, dass das Fernsehen heute viel stärker fragmentiert ist. Früher hattest Du weniger Sender, und in der großen Zeit, die Sie vorhin ansprachen, gab es erst drei Programme, dann fünf oder sechs, und alle Zuschauer, die Sie hatten, verteilten sich auf diese fünf oder sechs Sender. Die Sender vermehrten sich aber und noch vor den Streamingportalen und Abrufplattformen machten sich Unmengen linearer Sender gegenseitig Konkurrenz. Deswegen sind viele Sender, die früher groß waren, heute wohl kleiner.

Ist es nicht absurd, dass immer mehr Fernsehsender starten, die vollgepackt mit pixeligen Retrosendungen aus den 90ern in HD senden auf unseren 4K-Bildschirmen?
Ja, aber so ist es. Wobei zwar immer mehr Sender die gleichen Sendungen zeigen, aber eben auch ein paar Sender das ein oder andere Schmuckstück im Programm haben.

Welche Schmückstücke meinen Sie?
In den letzten Jahren haben die Leute gesagt, man muss «Mad Man» oder «Breaking Bad» gesehen haben. Bei «Mad Man» bin ich nach wenigen Folgen ausgestiegen, aber «Breaking Bad» fand ich gut. Die Serien, die die Feuilletons als Qualitätsfernsehen anpreisen, sind ja nicht wenige. Erst wurden sie von HBO produziert, dann kam Netflix und Amazon. Aber auch die kommerziellen Sender produzieren immer noch sehr ordentliche Sachen. Gerade Produktionen mit Livecharakter oder zu einem bestimmten Ereignis haben das Potential, größere Zuschauermengen anzuziehen und am nächsten Tag ein Gesprächsthema zu sein. Sendungen, über die man sich am nächsten Tag mit anderen austauschen will, schaut man noch live im Fernsehen. Vielleicht ist das mit Serien heute ja ähnlich wie mit der Musik früher: Da hat man sich über Alben ausgetauscht, aber alle gleichzeitig haben das Album gar nicht gehört. Stattdessen hat jemand ein tolles Album entdeckt und es seinen Freunden empfohlen, die es sich dann auch gekauft haben. Genau das passiert heute bei guten Serien.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Michael Reufsteck über Streaming-Dienste und: Welcher der VOD-Anbieter ist für ihn verzichtbar und wie viele davon sollte der Otto-Normal-Bürger gebucht haben?
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05.10.2016 09:55 Uhr Kurz-URL: qmde.de/88486
Sascha Blättermann

super
schade

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
05.10.2016 11:09 Uhr 1
Schönes Interview!
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