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Seriendämmerung?

Für Daniel Haas von der "Zeit" ist die Zeit der großen Serien vorbei. Eine abenteuerliche Argumentation, der unser Kolumnist widersprechen will.

Wann hat eigentlich das letzte Mal jemand geschrieben, die Zeit der großen Romane wäre vorbei?

Noch nie? Also zumindest kein Literaturkenner oder –kritiker, und wenn doch, dann nur mit ganz vielen Einschränkungen (“Die zeitgenössischen amerikanischen Autoren haben uns nichts mehr zu sagen“)?

Gut. Das wäre schließlich auch albern, selbst wenn von Botho Strauß der Roman seiner Generation nicht mehr unbedingt zu erwarten ist, solange sich nur Junot Díaz und Cormac McCarthy bitte weiter zielstrebig Richtung Literaturnobelpreis schreiben.

Wie ich auf diese Frage komme?

Weil Daniel Haas gestern in der „Zeit“ das Ende der großen Serien ausgerufen hat. Wumms. Eine ganze narrative, künstlerische Disziplin – am Ende. In einem Artikel. Kevin Spacey, Sie können nach Hause gehen, Benedict Cumberbatch, lassen Sie’s stecken, President Bartlett, we hardly knew ya.

Die Parallelisierung von televisionärer und literarischer Epik (Serien als der neue Dickens) will Haas sowieso weitgehend negieren: Die Epik der Serien sei vielmehr immer eine Biografik gewesen, in der man lediglich Figuren bei der Entwicklung ihres Stammbaumes dabei zugesehen habe, wie sie Traumata und Zukunftsträume an die nächste Generation weiterreichten.

Doch das unterschlägt freilich den narrativen Reichtum von Serien als Erzählform, wie es gleichzeitig die literarischen Ambitionen der Belletristik unanständig verklärt.

Thomas Mann mäandrierte sich achthundert Seiten lang durch die weitverzweigte Genealogie seiner „Buddenbrooks“, Joseph Roth spiegelte in seinem monumentalen Roman „Radetzkymarsch“ in der Geschichte der Familie von Trotta und Sipolje die Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie, William Faulkner erzählte in seinem bahnbrechenden „Absalom, Absalom!“ vom viele Generationen umfassenden Aufstieg und Fall einer südstaatlichen Plantage-Dynastie, und nicht zuletzt war gerade Charles Dickens ein Meister der ausufernden, gerne etwas pathetischen Familientragödien („Bleak House“, anyone?).

Gleichzeitig ist «Breaking Bad» freilich mehr als die dramaturgische Entwicklung einer Drogendealer-Genealogie, sondern primär die facettenreiche Betrachtung eines Lebens, das selbstverschuldet, aber mit (anfänglich) vielleicht besten Absichten aus den Fugen gerät. Die «Sopranos» funktionieren derweil als ein feinsinniges, narrativ hervorragend ausbalanciertes Konstrukt über Schuld und Sühne, wie es Dostojewskij kaum tiefgreifender, berührender oder philosophisch treffsicherer hätte schreiben können.

Haas will das Ende der großen Serie derweil primär mit den von ihm wahrgenommen Fehlkonstruktionen der neuen Staffel von «Game of Thrones» belegen. Das ist natürlich, ob man ihm in diesem Punkt zustimmen will oder nicht, von Anfang an eine halsbrecherische Argumentation. Schließlich käme niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, auf die Idee, das Ende des großen Romans zu verkünden, weil das neue Buch von Díaz, McCarthy, Müller oder Handke unter den inhaltlichen Erwartungen blieb.

Es zeigt vielmehr, dass Serien als ambitionierte Erzählform in den bildungsbürgerlichen Redaktionen immer noch nicht angekommen sind, sondern mit einem abschätzigen Chzepüh-Chzepüh als Modeerscheinung und intellektarme Bespaßung der unteren Mittelschicht rezipiert werden.

Genau wie vor zweihundert Jahren der Roman.
08.07.2016 14:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/86706
Julian Miller

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Tags

360 Grad Breaking Bad Game of Thrones Sopranos

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
08.07.2016 19:14 Uhr 1
Geiler Artikel, Julian!! :-)





Das kann dann wahrscheinlich nur jemand schreiben, der keine Serie sieht.... :mrgreen:
Vittel
08.07.2016 21:52 Uhr 2
Zustimmung. Da hat jemand sein persönliches Missfallen der aktuellen Staffel auf den gesamten TV-Markt übertragen.



Ich sehe es umgekehrt: Die Zeit der (Kurz)serien wie z.B. Fargo hat gerade erst begonnen. Mit Zunahme von VOD wird diese Form des Geschichtenerzählens ebenfalls weiter ansteigen.
Waterboy
09.07.2016 07:59 Uhr 3
Ach die Zeit. Ich hab mich schon über deren episodenreviews zur aktuellen game of Thrones staffel amüsiert. Der Autor war wohl dazu verdonnert worden sich den Wecker um 3 Uhr morgens zu stellen um ja einer der ersten zu sein. Aber anscheinend konnte er mit der Serie nicht viel anfangen und hatte dazu keine große Ahnung vom Serieninhalt weshalb er dutzende Fehler und falsche Aussagen tätigte.

Das ganze wiederholte sich dann Woche für Woche. Selbst die zwei epischen finalen Folgen waren seiner Meinung nach nicht doll.



Irgendwie bei Folge 5 fing er kurzzeitig an auf kommentare zu antworten und prügelte sich quasi mit Kritikern die seiner Meinung nach nur fanboys seien und die Pressefreiheit unterdrücken wollen.



Naja kommt dabei raus wenn ne große Zeitung einen

Hype kritisieren will und zum anderen trotzdem auf ihn aufspringen tut.
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