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«Colony»: Bis zur Mauer und nicht weiter

Eine Invasion von Außerirdischen zwingt die Menschen, hinter Mauern zu leben. Die Kontrolle über das Leben hat eine Militärregierung übernommen, gegen die sich nun Widerstand erhebt. Ist «Colony» der zweite Hit für USA Network nach «Mr. Robot»?

Cast & Crew

  • Autoren und Erfinder: Carlton Cuse, Ryan J. Condal
  • Darsteller: Josh Holloway, Sarah Wayne Callies, Peter Jacobson, Amanda Righetti, Tory Kittles u.a.
  • Regie (Pilot): Juan José Campanella
  • Ausführende Produzenten: Josh Holloway, Juan José Campanella, Ryan J. Condal, Carlton Cuse
  • Produktion: Universal TV, Legendary TV
Die neue Serie «Colony», in der letzten Woche in den USA gestartet, ist eine Bewährungsprobe in dreierlei Hinsicht:

Erstens für den Hauptdarsteller Josh Holloway. Nach seinen Erfolgen mit dem unrühmlich zu Ende gesendeten «Lost» fehlte dem Schauspieler das Glück. Ein paar Kinofilme, aber nur kleine Nebenrollen – und eine Fernsehserie namens «Intelligence», die nach vier Monaten abgesetzt wurde. In «Intelligence» spielte Holloway eine Art FBI-Agent mit Superfähigkeiten: Ein Computerchip im Gehirn ermöglichte es ihm, jederzeit überall auf sämtliche Informationen und Datenbanken im Internet zuzugreifen. In seiner neuen Serie ist Holloway darüber quasi hinweg: Er ist ein Ex-Agent, der nun dem Widerstand angehört – einer kleinen Gruppe von Revolutionären, die die Herrschaft der Militärregierung in Los Angeles beenden will. «Colony» ist für den Schauspieler Holloway die Chance, nach den Flopjahren wieder durchzustarten.

Zweitens ist «Colony» für den Serienerfinder Carlton Cuse eine Bewährungsprobe. Bekannt ist der Creator nicht nur für seine Mitarbeit an «Lost», sondern auch als Erfinder und Showrunner der erfolgreichen Serien «Bates Motel» und «The Strain». Verantwortlich war er außerdem für «The Returned», das mittlerweile eingestellt wurde. «Colony» ist zuallererst eine komplett originäre Story, und damit Neuland für Cuse: Seine bisherigen Shows basierten alle auf Vorlagen, ob in Buch- oder Serienform. Insofern ist «Colony» auch das Format mit dem größten kreativen Potenzial, an dem er hauptverantwortlich beteiligt ist. Bekannt ist Cuse bisher größtenteils für network-kompatibles, nur mäßig tiefgründiges Erzählen und für Cliffhanger. Dass er auch richtiges Quality TV kann, ist noch zu beweisen.

Drittens ist die Serie für den ausstrahlenden Sender USA Network extrem wichtig. Nach dem riesigen Kritiker-Erfolg «Mr. Robot» im letzten Jahr wurde der nächste Neustart von USA sehnlich erwartet. Man fragte sich, ob der Sender nun in die Riege der großen Qualitätsproduzenten aufsteigen würde, neben Showtime, HBO, FX oder AMC. Anders gesagt: «Mr. Robot» soll für USA so eine serielle Initialzündung sein, wie es «Mad Men» für AMC war, «Sons of Anarchy» für FX oder «Dexter» für Showtime. Von diesen Sendern folgten viele weitere großartige Serien – kann USA sich also nun zu diesem Bund dazuzählen?

Um es vorwegzunehmen: Den hohen Erwartungen wird «Colony» zum Start noch nicht gerecht. Das heißt nicht, dass man die Bewährungsprobe verloren hat – aber bis zum erhofften zweiten Hit von USA Network ist es noch ein weiter Weg. Die Serie erzählt von einer alternativen Realität, in der die Erde von einer unbekannten außerirdischen Spezies eingenommen wurde. „No one has ever seen one“, ist einer dieser Sätze, die haften bleiben in der Premierenepisode: Niemand hat je eines dieser Aliens gesehen. Die Menschheit hat sich wortwörtlich verbarrikadiert, in Metropolen, die von hunderte Meter hohen Schutzwällen umbaut sind. Niemand darf oder kann ausbrechen, und nachts kündigt ein schrilles Heulen die Sperrstunde an: Wer dann nicht in den eigenen vier Wänden wohnt, wird vom Militär abtransportiert. Der Alltag ist geprägt von Grenzkontrollen, Militärpolizisten in Schwarz und Rot, von Drohnen und Unterdrückung durch die Regierung, die „Colony Transitional Authority“.

Wir lernen Familie Bowman kennen. Sie gehört dem Widerstand an, der sich gegen die bestehenden Verhältnisse zur Wehr setzt. Man setzt auf verschiedene Perspektiven, um die Geschichte dieser neuen Welt zu erzählen: Die Geschichte von Vater Will (Josh Holloway), der bei einem Schmuggelversuch entdeckt wird. Die von Mutter Katie (Sarah Wayne Callies), die Gefahren auf sich nimmt, um Insulin für ihre Schwägerin zu bekommen. Und die Geschichte der Kinder, die auf dem Sportplatz Orangen gegen Tacos kaufen – auch das gehört zum neuen Alltag, der Handel mit Naturalien statt Geld, die Selbstversorgung.

Das Schicksal der Familie entscheidet sich, nachdem Will von der Militärpolizei geschnappt wird. Eigentlich sind die Konsequenzen klar: ein armseliges Sklavenleben in der „Factory“, einer Art Arbeitslager für Abtrünnige. Doch bald erkennt die Regierung, wen sie da in den Händen hält: einen früheren U.S. Army Ranger und FBI-Agenten. Einen, von denen es im neuen Alltag nicht mehr viele gibt. Einen, den das Regime gebrauchen kann. Auf einer glamourösen Cocktail-Party macht man Will ein unmoralisches Angebot: Entweder die Factory – oder die Mitarbeit in der Regierung. Die Familie wählt letzteres, und damit ist klar: Ab sofort hat der Widerstand einen Doppelagenten in der Regierung.

Die entscheidende Frage für «Colony» wird sein, was man aus dieser Konstellation macht. Vieles ist möglich, eine Entzweiung der Familie, tiefgründige Seriendiskussionen über Ideale und das persönliche Wohl, eine Parabel gegen Unterdrückung und Polizeistaat. Leider ist davon bisher wenig zu sehen. Die Serie fühlt sich früh an wie ein Police-Procedural, laut US-Kritikern ändert sich dies in den kommenden Episoden kaum. Wenn «Colony» nur das sein will, scheint es ihm zumindest zu gelingen: Die Charaktere sind extrem sympathisch, die Gegenzeichnung der widerständigen, emotionalen Familie gegen die gesichtslosen, kalten Militärs gelingt wunderbar. Die Spannung ergibt sich aus dem Doppelagenten-Spiel und aus den vielen Fragen, die (wohl noch lange) unbeantwortet bleiben: Gab es die Alien-Invasion wirklich? Wer sind eigentlich diese unbekannten Gegner und was wollen sie? Was bedeuten die nächtlichen Sprengungen außerhalb von Los Angeles? Warum gibt es diese ominöse Sperrstunde?

Es scheint also, als sei «Colony» ein zweites «The Walking Dead» im Sci-Fi-Setting. Die ersten Trailer haben das zumindest vermuten lassen, und die Parallelen der Story sind unverkennbar. Eine fiktive Ausgangslage wird genommen, um zu erzählen, was Menschsein in Extremsituationen bedeutet. Bei «The Walking Dead» ist nicht die Zombie-Epidemie das Erzählkonstrukt, sondern das, was diese Epidemie mit dem Menschen macht. Bei «Colony» könnte dasselbe passieren, denn auch hier ist die Alien-Invasion nur Aufhänger für die gegebene Situation.

Allzu tiefgründig und philosophisch scheint das Format aber nicht erzählen zu wollen, zumindest nicht auf den ersten Blick. Für Josh Holloway könnte es trotzdem der Schritt zurück in den großen Mainstream-Erfolg werden: Er spielt seinen Charakter überraschend vielseitig und ambivalent, das Gegenteil des vermuteten Sonnyboy. Carlton Cuse, der Serienerfinder, bleibt zumindest vorerst weiter schuldig, dass er Qualitätsfernsehen der ersten Klasse schreiben kann. Und USA Network? Mit «Colony» landet man vielleicht viel Zuspruch beim Publikum. Der erhoffte zweite Kritikerhit ist es aber nicht geworden.
21.01.2016 12:18 Uhr Kurz-URL: qmde.de/83213
Jan Schlüter

super
schade

88 %
12 %

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Tags

Bates Motel Colony Dexter Intelligence Lost Mad Men Mr. Robot Sons of Anarchy The Returned The Strain The Walking Dead

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