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'Wir können weder mit Facebook, noch mit dem Handy gesund umgehen'

«Männerherzen»-Regisseur Simon Verhoeven begibt sich mit seinem Genredebüt «Unfriend» erstmals auf Horrorfilmterrain. Ein Anlass für unsere Kinojournalistin Antje Wessels, ein wenig mit ihm fachzusimpeln.

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Zur Person:

Am 20. Juni 1972 in München geboren, begann der seit 2011 nur noch als Regisseur tätige Simon Verhoeven seine Schauspielkarriere 1995 in Daisy von Scherler Mayers Komödie «Crazy Party Girl», eh er hierzulande vorzugsweise in Fernsehfilmen und -Serien zu sehen war. Der studierte Filmregisseur lieferte 2001 mit der Partysatire «100 Pro - Heute Nacht geht was» sein Debüt als Filmemacher; der große Durchbruch folgte 2009 mit «Männerherzen». Die episodenhaft erzählte Komödie zog eine Fortsetzung nach sich. «Unfriend» stellt sein Horrorfilmdebüt dar.
Simon, man kennt dich bisher ja als Schauspieler und Regisseur deutscher Produktionen und hast Dich mit «Unfriend» erstmals auf internationales Terrain begeben. Gleichzeitig ist es Deine erste Horrorfilmproduktion. Wie kam das?
Eine Überlegung oder eine Strategie steckte nicht dahinter. «Männerherzen 3» wollte ich nicht machen, was vermutlich das Naheliegendste gewesen wäre. Die Idee zu «Unfriend» kam, wie alle Ideen, an denen ich arbeite, relativ spontan zu mir. Ich saß abends zuhause und habe ein wenig auf Facebook herumgesurft und bin dabei auf das Profil eines Bekannten gestoßen, von dem ich wusste, dass dieser die vorherige Woche gestorben war. Das Profil war immer noch online und ist auch nach wie vor online, weil es nach wie vor von seinen Freunden gepflegt wird. Als ich auf dieses Profil schaute, dachte ich mir plötzlich, wie unfassbar es wäre, wenn ich jetzt eine Nachricht von dem bekäme. So simpel fing das für mich an, weil ich mir in dem Moment gedacht habe, dass das ein gutes Thema für einen Film ist. Das Thema kann jeder nachvollziehen, es ist aktuell und es macht mir totale Angst, darüber nachzudenken (lacht). Man kann das natürlich auch in die romantische Richtung ziehen, dann wird es irgendwie «PS: I Love You - Nachricht aus dem Totenreich» oder so. Es gibt ja auch solche Filme. Aber so habe ich einfach angefangen, darüber nachzudenken. Es war also nicht die Entscheidung, ich muss jetzt unbedingt etwas ganz Anderes machen, sondern es hat mich einfach fasziniert und dann habe ich mit ein paar Leuten darüber gesprochen und so ging’s dann los.

Dann war es also purer Zufall, dass parallel zu Eurem Projekt «Unknown User» in der Mache war?
Da habe ich auch schon von gehört, natürlich. Damals hieß der Film ja noch «Cybernatural». Und wir wussten während der Castingphase schon, dass es ein anderes Projekt mit ähnlicher Thematik gibt. Wir haben sehr früh davon gehört. Aber was hätten wir da großartig gegen machen sollen? Die waren natürlich durch ihre Produktion schneller. Es war auch so, dass unsere Schauspielerin Alycia Debnam-Carey bei denen im Casting war und die sie eigentlich wollten, lustigerweise. Insofern wussten wir also von der Produktion. Sobald ein Drehbuch bei einer Castingagentur im Umlauf ist, weiß auch der Rest von Hollywood, dass dieses Projekt existiert. Und damals hieß es noch «Cybernatural» und sollte vollständig vor der Webcam gefilmt stattfinden. Insofern habe ich mir ganz ehrlich gar keine Gedanken darum gemacht. Es kursierten alle möglichen Drehbücher plötzlich. Es ist ja generationsmäßig oft so, dass man sich eigentlich ausrechnen kann, dass, wenn man so eine Idee hat, einen solchen Horrorfilm zu machen, der mit dem Social Network zu tun hat, dass man nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, der diese Idee momentan verfolgt. Das ist bei so einer Idee einfach so. Gerade von jungen Autoren kursieren auch Drehbücher in Hollywood, die alle nicht verfilmt worden sind. Das Thema war ein heißes Thema zu der Zeit, als wir auch angefangen haben, mit der Diskussion.

Ich weiß, dass unser Trailer gerade ziemlich gut ankommt, aber letztlich ist es dann gerade im Horrorbereich immer mehr die Frage: Gehen die Leute vom Sofa hoch und sagen, ich geh heute Abend ins Kino und schau mir einen Horrorfilm an, wenn sie ja auch ein paar Wochen später schon die DVD schauen könnten. Das ist gerade in dem Genre schwer zu sagen. Es ist schwer geworden, Leute zu mobilisieren, ins Kino zu gehen.
Simon Verhoeven über die Chance, mit 'Unfriend' einen Kassenschlager zu landen
Da wird ja vermutlich in den nächsten Jahren auch noch viel zu dem Thema kommen...
Es gehört halt jetzt dazu. Egal ob es Horror ist, oder ob es eine Komödie ist – das Leben mit Twitter, mit Facebook mit WhatsApp, mit mobilen Devices mit Social Networks ist halt einfach ein anderes geworden. Und natürlich werden diese Themen in allen Genres viel mehr aufgegriffen werden, aber ich finde, es bietet sich gerade im Horrorbereich ganz gut an. Es ist schon etwas, wo man den Verlust von Kontrolle über sein Profil, das Eindringen in die Privatsphäre, das Anschauen, einer anderen Person, ihre Bilder, Träume, die Stalkinggefahr, das sind viele Dinge, die sich einfach anbieten, wenn man über Facebook ein bisschen länger nachdenkt. Aber es war für uns natürlich nicht schön, als «Cybernatural» dann von Universal Pictures genommen wurde und schließlich auch noch umgetitelt wurde in «Unfriended». In Deutschland durften sie den Film so nicht nennen. Die ganze Geschichte war ein wenig confusing (lacht). Aber auf der anderen Seite muss man es natürlich auch respektieren, dass es ein solch anderes Projekt gibt. Denn die Idee, einen Film vollständig vor der Webcam spielen zu lassen, ist natürlich eine sehr gute und da habe ich dann auch enormen Respekt vor. Ich habe auch nicht das Gefühl, die haben jetzt genau das Gleiche gemacht. Aber die Thematik ist natürlich ähnlich und die sind schneller dran gewesen, klar.

Das war auch mein erster Gedanke. Ich habe das natürlich auch alles mitbekommen mit den Titeln, der Frage, wie welcher Film in welchem Land heißt und so weiter. Und dann kam ja noch hinzu, dass bei «Unfriend» ein deutscher Regisseur hinter steht. Da kann man – wenn man sich nicht so sehr mit der Marterie befasst – natürlich auf den ersten Blick auch auf die Idee kommen, dass man es da mit einem Remake zu tun haben könnte.
Ich denke, sobald man sich den Trailer anschaut, realisiert man aber, dass es eine völlig andere Bildsprache ist. Aber selbst wenn es so ist, wenn man ein wenig was über Produktion weiß, dann weiß man natürlich auch, wie lange solche Sachen dauern. Da wäre das schon sehr, sehr schnell gewesen, in so kurzer Zeit einen Film zu drehen, zu schneiden und ins Kino zu bringen. Wir waren ja schon lange ready. Das Problem war nur, wir konnten nicht vor ihnen ins Kino kommen. Und hätten wir den Film direkt nach «Unknown User» ins Kino gebracht, dann wäre das für uns noch viel schlimmer gewesen. Dann wäre die Verwechslungsgefahr noch größer gewesen.

Das Gute ist natürlich, dass «Unknown User» überraschenderweise so gut gelaufen ist. Vielleicht zieht Ihr mit Eurem Film da ja auch einen gewissen Nutzen raus, dass dadurch vielleicht ein neuer Trend eingeläutet wird.
Die Hoffnung kann man natürlich haben. Auf der anderen Seite kann man natürlich auch genau entgegengesetzt argumentieren, dass die Leute vielleicht erstmal genug davon haben. Ich weiß, dass unser Trailer gerade ziemlich gut ankommt, aber letztlich ist es dann gerade im Horrorbereich immer mehr die Frage: Gehen die Leute vom Sofa hoch und sagen, ich geh heute Abend ins Kino und schau mir einen Horrorfilm an, wenn sie ja auch ein paar Wochen später schon die DVD schauen könnten. Das ist gerade in dem Genre schwer zu sagen. Es ist schwer geworden, Leute zu mobilisieren, ins Kino zu gehen. Die Leute werden ihn sich schon anschauen, nur schauen die ja heutzutage vermehrt zuhause.

Das stimmt. Als der Trailer vor ein paar Tagen erschienen ist, habe ich mich auch in den sozialen Netzwerken ein wenig umgehört, wie der Trailer denn so ankommt, bei den Zuschauern. Und oft fiel der Vergleich mit «Ring». Das würde ich unterstützen und zwar nur im positiven Sinne, weil ich ein absoluter «Ring»-Fan bin…
«Ring» ist ein Meisterwerk! Das ist Gore Verbinski, das basiert auf einer Novelle und auf einem Film. Da steckte also sehr viel dahinter, sehr viel Substanz – allein die Original-Novelle ist großartig. Ich bin ein riesiger «Ring»-Fan, eigentlich wie jeder, der intelligenten und eleganten Horror liebt. Das ist für mich einfach ein Meisterwerk, wie sie nur ganz selten vorkommen. Deshalb ist für mich natürlich so ein Vergleich sehr schmeichelhaft. Aber ich würde ihn nicht wagen – niemals (lacht). Es ist natürlich besser, als mit irgendeinem Schrott verglichen zu werden. Aber ich kann mich noch erinnern, als ich «Ring» das erste Mal gesehen habe, war das wirklich so ein tiefer Eindruck für mich im Nachhinein. Auch das Ende hat mich regelrecht verstört. Und das kommt sehr selten vor.

Ich kam vor allem deshalb auf den Vergleich, weil ein Film wie RING heutzutage ja vor allem über die sozialen Medien funktionieren würde. Der erste Teil spielte sich ja genau in der Übergangsphase von VHS zu DVD ab und der Fluch war ja eben auf einer VHS-Kassette gebannt.

Und es war damals schon ein wenig veraltet.

Und da sind teilweise Profile drauf, wo du dir einfach denkst: Wer ist das? Warum postet jemand diese Sachen? Was hat das eine Bedeutung für den? Und so ist das auch in den Film mit eingeflossen, weil wir unserer Umwelt durch die Videos, die wir posten, durch die Hinweise, die wir geben, mittlerweile ein Persönlichkeitsbild vermitteln, sodass dann natürlich auch ein dunkles, ein böses Profil Hinweise geben kann, die man entschlüsseln muss.
Simon Verhoeven über seine Recherchearbei bei Tumblr
Genau. Und zum Anderen ist da natürlich diese visuelle Ebene, die Spielereien mit den Bildern und Elementen im Film, das spielt ja auch in diesen Vergleich mit rein.
Das bietet sich in so einem Film auch total an. Ich bin mir auch sicher, oder besser: ich befürchte auch ein wenig, dass das beim neuen «Ring» so gemacht wird. Ich weiß jetzt nicht genau, worum es da geht, aber auf der anderen Seite soll es ja ein Prequel sein, soweit ich weiß. Dann könnte es natürlich sein, dass wir Glück haben und dass das nicht so sehr im Vordergrund spielt. Aber eigentlich war das auch so mein Gedanke. Es ist ja auch so: Als ich begonnen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen, habe ich mir auch viele Tumblr-Profile angeschaut. Nicht nur Facebook, sondern ganz im Gegenteil: Tumblr. Und da sind teilweise Profile drauf, wo du dir einfach denkst: Wer ist das? Warum postet jemand diese Sachen? Was hat das eine Bedeutung für den? Und so ist das auch in den Film mit eingeflossen, weil wir unserer Umwelt durch die Videos, die wir posten, durch die Hinweise, die wir geben, mittlerweile ein Persönlichkeitsbild vermitteln, sodass dann natürlich auch ein dunkles, ein böses Profil Hinweise geben kann, die man entschlüsseln muss. Das war auf jeden Fall etwas, von dem ich ganz früh gesagt habe, das muss auf jeden Fall als Element da drin sein. Dass das dann auch in Verbindung gebracht wird mit «Ring» oder man es vom System her mit «Ring» in Verbindung bringen kann, ist mir dann auch im Nachhinein aufgefallen, als ich mir später nochmal «Ring» angeschaut habe. Vermutlich würde man den Film, würde man ihn heutzutage noch einmal drehen, auch mittels eines Social Network Videos aufziehen.

Das Gute ist natürlich, dass der nächste «Ring»-Film tatsächlich ein Prequel sein soll, der sich mit der Vorgeschichte des Mädchens Samara befasst. Da besteht also wohlmöglich gar keine Gefahr, dass das aufgegriffen wird. Hattet Ihr denn anderweitig Inspiration für Euren Film?
Ich schaue mir sowieso grundsätzlich sehr viel an. Ich hatte da nicht das Gefühl, dass man nochmal speziell recherchieren muss. Ich habe mir sowieso die Filme, die sich andere auch im Kino anschauen, angeguckt und muss auch sagen, dass es tatsächlich auch recht unterschiedlich ist, was momentan im Genre so erscheint. Da gibt es Oldschool-Schocker wie «Conjuring» oder «Insidious». Dann gibt es natürlich noch die «Paranormal»-Filme, die immer noch sehr modern sind. Ich habe das Gefühl, es gibt mittlerweile eine solche Bandbreite, sodass man gar nicht wirklich sagen kann, was zeitgeistig ist. Auch klassischer Oldfashion-Style kann heutzutage total zeitgeistig sein, weil die jungen Leute dann vielleicht denken, sie haben mal wieder Bock, einen Film zu sehen, der nicht mit ‘ner Webcam gefilmt ist, übertrieben ausgedrückt. Mittlerweile sind so viele Strömungen vorhanden, dass es gar keinen großen Sinn macht, sich zu überlegen, was jetzt gerade angesagt ist, glaube ich. Ich glaube, das Horrorpublikum ist sehr offen in dem, was es anschaut.

Gerade das Horrorgenre ist ja eigentlich seit Jahrzehnten immer von einem Trend geprägt. Aber momentan ist gar kein Trend vorherrschend. Wir hatten zuletzt diese sehr brutale Slasher-Welle mit «Saw», «Hostel» usw. Aber seither gibt es ja gar keinen richtigen Trend.
Ja, schau Dir doch mal die Remakes an. «Poltergeist» ist auch sehr oldfashioned oder «Evil Dead» – eine Geschichte über Leute in einer Hütte im Wald, die von Dämonen besessen sind. Oldschooliger geht’s überhaupt nicht. Aber es gibt natürlich auch Filme wie «Blair Witch Project» oder «Unknown User», das sind dann aber nicht die einzigen, bei denen die Horrorfans sagen: Das schaue ich mir jetzt an. Zumindest bei mir war es so, dass mir Found-Footage irgendwann total auf die Nerven ging. Bei dem ganzen Kameragewackel und hier und da sind natürlich auch brillante Filme dabei, keine Frage. Aber eben nicht alle. Irgendwann wird es dann auch ermüdend. Und natürlich lag es für «Unfriend» auch nah, dass man das als Technik durchaus benutzt. Dass man die Ereignisse mit dem Handy oder einer Webcam filmt. Und das finde ich auch eine absolut schlüssige und stimmige Idee, aber bei mir war das Nachdenken über den Film in einer Zeit, in der ich es schade fand, dass so viele Filme so erzählt werden. Es war eine Art Overkill für mich.
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03.01.2016 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/82836
Antje Wessels

super
schade


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