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Der Fernsehfriedhof: Beschiss mit Anleitung

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 263: Eine der dümmsten Reality-Reihen von RTL II, die wirklich kein Klischee ausließ.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des Beweises dafür, dass auch Lügen gelernt sein muss.

«Der Bluff» wurde am 18. August 2008 bei RTL II geboren und entstand zu einer Zeit, als sich Coaching-Formate wie «Raus aus den Schulden!», «Die Supernanny» und «Rach, der Restauranttester» einer enormen Beliebtheit erfreuten. Was lag daher näher, als einen weiteren Vertreter etablieren zu wollen? Um sich jedoch vom bekannten Schema abzuheben, suchten die Verantwortlichen von RTL II nach Varianten, die Überschneidungen mit anderen Konzepten aufwiesen und sich dadurch harmonischer in das übrige Programm einfügen sollten. Zunächst testete man, die obligatorische Lebensberatung mit Elementen der nachmittäglichen Gerichtsshows sowie der Sat.1-Produktion «Zwei bei Kallwass» zu kombinieren. Das Ergebnis namens «Der Requardt» geriet allerdings zu einem gewaltigen Flop am Vorabend.

Danach verfolgte man den Ansatz, das Genre mit einem Rollentausch zu verknüpfen. Schließlich hatte der Kanal mit «Frauentausch» eine sehr beliebte Sendung im Programm, die auf diesem Prinzip basierte. Es war dafür nicht einmal nötig, ein eigenes Konzept zu entwickeln, denn in Großbritannien existierte bereits seit 2001 die Doku-Serie «Faking It», die offiziell adaptiert wurde. Wie in der Vorlage probierten sich die Kandidaten darin in ihnen völlig unbekannten Stellungen aus und wurden dabei von mehreren Insidern aus den jeweiligen neuen Betätigungsfeldern angeleitet, beraten und unterstützt. Am Ende jeder Ausgabe galt es nämlich eine Expertenjury mithilfe des Erlernten zu täuschen. So wurde ein Rocker zum Dirigenten, ein Fahrradkurier zum Polospieler, eine Verkäuferin zum Topmodel und ein Schafscherer zum Promifriseur ausgebildet.

Was sich auf dem Papier nach einem spannenden Experiment anhörte, stellte sich schnell als ein endloses Abspielen von platten Klischees, abgedroschenen Vorurteilen und inszenierten Szenen dar. In der Auftaktepisode sollte beispielsweise der Literaturstudent Christian innerhalb von vier Wochen zu einem Gangsta-Rapper umprogrammiert werden. Dieser wurde als äußerst spießig portraitiert, indem er fortwährend aus Werken von Goethe zitierte, mit seinen Freunden am Stammtisch alte Volkslieder sang und Trost bei einer alten Nonne suchte. Ihm Gegenüber standen die HipHoper Xatar, Birnita und Ali AS, welche als die „Fiesesten Gangsta-Rapper aller Zeiten“ vorgestellt wurden und hauptsächlich Frauen- und Schwulenfeindlichkeiten sowie fäkale Ausdrücke am Fließband darboten.

Christians Umschulung beinhaltete neben einem obligatorischen Umstyling auch das Erlernen der „harten Sprache des Raps“ sowie der 10 Rap-Geboten (u.a. „Money Over Bitches“, „Can’t Make A Hoe A Housewife“, „Don’t Hate The Player Hate The Game“, „Keep It Gangsta“, „Ride Or Die“ und „Death Before Dishonor“). Nachdem er all das über sich ergehen ließ, trat er schließlich als Chrisco in einem halbgefüllten Berliner Club auf und präsentierte vor der Jury seinen Song mit der einprägsamen Textzeile: „Entweder Ihr seid alle Fans von Chrisco oder Ihr seid Schwule aus San Francisco.“ Diesem Niveau entsprechend verhalten fielen die Kritiken in der damaligen Presse aus. Die Welt schrieb beispielsweise: „Hier treffen nicht zwei Kulturen aufeinander, sondern Klischees. Sie müssen herhalten, um die Botschaft dieser Doku-Soap zu illustrieren: Wer Goethe liest, ist selber Schuld.“

Nicht nur zahlreiche Journalisten zeigten sich vom Ergebnis wenig begeistert, auch viele Zuschauer schienen sich für die Verwandlungen nicht zu interessieren, denn nur 0,42 Millionen Menschen schalteten die zweistündige Premiere am Montagabend ein. In der Zielgruppe lag der Marktanteil bei lediglich 3,6 Prozent. Als in der zweiten Woche die Werte sogar auf 0,39 Millionen Zuschauer und 2,7 Prozent absanken, zögerten die Verantwortlichen bei RTL II nicht lang und setzten die Produktion vorzeitig ab.

«Der Bluff» wurde am 25. August 2008 beerdigt und erreichte ein Alter von sechs Folgen, von denen jedoch nur zwei ausgestrahlt wurden. Die Reihe hinterließ im Grunde nichts, außer den Auftritten von Jürgen Drews samt Ehefrau Ramona sowie von Michael Schaffrath, die sich als Versuchsobjekte für den frischgebackenen Promifriseur hergaben. Übrigens, der WDR versuchte sich bereits im Jahr 2003 mit «Fake - Karriere machen mit Bluff» an einer deutschen Adaption der britischen Idee, brachte es aber auch nur auf drei Ausgaben. Auch in dieser wandelte sich ein Schafscherer zum Starcoiffeur.

Möge die Reihe in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer als Castingshow getarnten Werbeaktion.
14.11.2013 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/67339
Christian Richter

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