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Der Fernsehfriedhof: Glück am Rande des guten Geschmacks

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 258: Erinnerungen an eine skandalträchtige Samstagabend-Show, in der sogar Dartpfeile auf lebende Menschen geworfen wurden.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir eines weiteren Vertreters des vielzitierten „Ekel“-Fernsehens.

«Glücksritter» wurde am 10. Februar 1996 bei RTL geboren und entstand zu einer Zeit, als die legendären Samstagabendknaller «Traumhochzeit» und die «100.000 Mark Show» ihren Zenit erreicht hatten. Weder konnten sie frühere Rekordreichweiten erzielen, noch für eine vergleichbare Aufmerksamkeit wie bei ihrem Start sorgen. Weil auch die späteren, eher harmlosen Neuentwicklungen «Tut er’s oder tut er es nicht» und die «Soundmix Show» keine vergleichbaren Publikumshits wurden, glaubten die Verantwortlichen offenbar, einen neuen Renner nur dann landen zu können, wenn man die bisherigen Konzepte ausreizte.

Kreiert wurde daher eine abendfüllende Spielshow, die sich vom Look und Grundprinzip eng an der «100.000 Mark Show» orientierte und mit Ulla Kock am Brink sogar vom selben Gesicht moderiert wurde. Diese war nun nicht mehr nur für die Präsentation, sondern über ihre Produktionsfirma Cameo auch inhaltlich für das Ergebnis verantwortlich. Anders als bei der indirekten Vorlage sollten anstatt Kraft, Ausdauer und Nervenstärke diesmal Glück und Zockerbereitschaft für Sieg oder Niederlage entscheidend sein. Deshalb wurde der Ablauf so angelegt, dass sich die Verhältnisse jederzeit wenden und alle bisherigen Gewinne verloren werden konnten. Auf diese Weise erhoffte man sich, extreme emotionale Reaktionen hervorrufen zu können.

Im Kern standen stets drei Kandidaten, von denen nach mehreren Runden einer ins Finale einzog, um darin um den Hauptpreis zu zocken. Stellte die Gewinnsumme bei der «100.000 Mark Show» zu ihrer Premiere noch einen Rekord fürs deutsche Fernsehen dar, legte «Glücksritter» die Messlatte noch einmal höher und versprach einen maximalen Betrag von 170.000 Mark. Damit sollten sich die Mitstreiter ihre großen Träume erfüllen, mit denen sie sich zuvor beworben hatten. Es ging um den Erwerb eines seltenen Oldtimers, den Besitz eines Heißluftballons, die Aufführung des eigenen Musicals, den Kauf eines eigenen Weinbergs oder die Eröffnung eines Katzenhotels. Nichts geringeres als die Erfüllung eines Lebenstraums stand also auf dem Spiel.

Ob und für wen dieser wahr werden konnte, entschied sich in mehreren Runden, in denen die Konkurrenten unter anderem aus einer Badewanne voller Münzen möglichst genau 10.000 Mark herausschaufeln mussten. Außerdem hatten sie auf einer Brücke über ein Schlammbad zu schreiten, bei dem nur die Hälfte aller Tritte sicher und fest waren. Als Vorbereitung auf das Finale sollten sie darüber hinaus soviel Geld wie möglich sammeln, was anfangs mithilfe von 200 einarmigen Banditen erfolgte. Als jedoch Vorwürfe aufkamen, dass dies das Suchtverhalten fördern könnte, wurden die Automaten durch andere Objekte – wie etwa Hunderte Sparschweine ersetzt. Am Ende bestimmte der auf diese Weise am höchsten erzielte Erlös über den Einzug ins Endspiel. Ob die Finalisten darin ihren Traum tatsächlich erfüllt bekamen, entschied schließlich ein schlichtes Glücksrad, das mehrfach gedreht wurde.

Für die Sammelaufgaben stand den Duellanten gewöhnlich eine Zeitspanne von einer Stunde zur Verfügung. Diese ungewöhnlich lange Dauer überbrückte Kock am Brink mit sogenannten Zocker-Runden. Dies waren kurzweilige Aktionen mit zufällig und weniger zufällig ausgewählten Zuschauern im Studio. In der einfachsten Form mussten sie bei einem Münzwurf triumphieren, die richtige aus zwei verdeckten Karten wählen oder bekannte Brettspiele (bspw. „Vier gewinnt“), Kombinationsrätsel und Quizfragen meistern. Etwas dramatischer wurde es im Auto-Spiel, bei dem die Kandidaten zwar ein neues Auto erobern konnten, dafür aber ihr bisheriges als Einsatz dem Sender überschreiben mussten. Im ungünstigen Fall fuhren sie mit einem noch älteren Gebrauchtwagen heim. Laut der Produktionsfirma waren in den Haupt- und Zwischenrunden pro Ausgabe insgesamt bis zu 500.000 Mark im Umlauf und damit gewinnbar.

Vor allem in den Zwischenrunden probierte man im Drang nach Aufmerksamkeit, die damals gängigen Geschmacksgrenzen auszureizen. Unter anderem wurden dafür jahrelang vermisste Verwandte eingeflogen, die nur dann ihre Familie treffen durften, wenn diese zuvor ein Spiel erfolgreich absolvieren konnte. Ansonsten ging es für die langersehnten Besucher direkt wieder zurück. Anderen Bewerbern stellte man den Ausgleich erdrückender Schulden oder die Bezahlung dringend benötigter Zahnkronen in Aussicht. Regelmäßig waren der Kanal und die beteiligten Firmen daher mit Vorwürfen konfrontiert, aus dem Leid der Menschen Kapital schlagen zu wollen - erst recht, wenn diese dann noch enttäuscht wurden.

Einige Episoden enthielten noch extremere Elemente, die (mehr oder weniger) sinnvoll in die Zocker-Runden eingebettet waren. So zerbog eine Frau eine Gabel zwischen ihren Gesäßbacken, ein selbsternannter „Rektal-Posaunist“ furzte zu klassischer Musik, ein Kampfsportler nahm 600-Grad heißes Blei in den Mund und ein Mann jonglierte mit laufenden Kettensägen. Die Frau, die sich eine Zahnbehandlung wünschte, musste dafür Gebissprothesen von den Studiozuschauern einsammeln und ein anderer Teilnehmer für seinen Gewinn öffentlich strippen. Für den größten Aufreger sorgte derweil ein Wettbewerb, in dem eine Kandidatin Dartpfeile auf einen lebenden Menschen werfen sollte, der eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt hatte. Verständlicherweise wurde den Machern angesichts solcher Provokationen Zynismus und Menschenverachtung vorgeworfen. Zahlreiche Zeitungen belegten das Programm mit den Worten „Ekel-TV“ oder „Pfui-TV“ und sogar die zuständigen Aufsichtsbehörden bemängelten derartige Aktionen.

Dies brachte dem Format zwar eine große mediale Beachtung, lockte allerdings nicht allzu viele Fernsehzuschauer an. Schon bei der Premiere fiel die Sehbeteiligung mit 4,69 Millionen Zuschauern angesichts des geleisteten Aufwands eher verhalten aus. Die Werte sanken dann bei den weiteren monatlichen Ausgaben bis zum Herbst 1996 auf nur noch 3,05 Millionen ab, was für den prominenten Sendeplatz am Samstagabend eindeutig zu wenig war. Zwar stiegen die Quoten zu Beginn des folgenden Jahres wieder an, überwanden aber nur vereinzelt die 4-Millionen-Grenze. Weil dem anrüchigen Image der Show, das zudem Werbekunden abgeschreckt haben dürfte, und den hohen Herstellungskosten nur mittelmäßige Reichweiten gegenüber standen, war ein Ende bald unvermeidlich. So zerplatzten nicht nur viele Träume der Kandidaten, sondern auch die Hoffnung, ein dauerhaftes Programm am Samstagabend etablieren zu können.

«Glücksritter» wurde am 17. Mai 1997 beerdigt und erreichte ein Alter von elf Folgen. Die Show hinterließ die Moderatorin Ulla Kock am Brink, die noch bis zum Jahr 1998 durch die «100.000 Mark Show» führte, bevor sie zum Konkurrenten ProSieben wechselte, um dort täglich «Die Ulla Kock am Brink Show» zu präsentieren. Anschließend leitete sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit der «Lotto-Show» ein weiteres Samstagabend-Event, das auf Glück basierte. Nach dem mittelmäßigen Erfolg «Ca$h - Das eine Million Mark-Quiz» und dem kurzlebigen RBB-Talk «Leute am Donnerstag» überraschte sie zuletzt mit der Sat.1-Sendung «Die perfekte Minute». Übrigens, rund ein Jahr nach dem Ende von «Glücksritter» nutzte RTL in «Perfect Day» erneut die Schicksalsschläge von verzweifelten Teilnehmern aus, um damit eine weitere Samstagabendunterhaltung spannender wirken zu lassen.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer weiteren neuen Samstagabend-Spielshow-Hoffnung von RTL.
10.10.2013 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/66630
Christian Richter

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