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Dr. Peter Süß: 'Segelten hart am Wind der Glaubwüdigkeit'

Derzeit ernte man mit starken Quoten aber das, was man über ein Jahr gesät habe, sagt der Chefautor von «Sturm der Liebe». Außerdem lesen Sie, wieso «Berlin - Tag & Nacht» dem Zuschauer mit dem nackten Arsch ins Gesicht springt.

Zur Person

Dr. Peter Süß studierte Geschichte, Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaften. Seit 1996 arbeitete er als Autor bei «Verbotene Liebe» und «Gute Zeiten, schlechte Zeiten». Bei «GZSZ» war er ab 1998 und bis 2000 Chefautor. Ab 2004 arbeitete er in dieser Funktion für die Sat.1-Serie «Stefanie - Eine Frau startet durch». Seit 2005 bestimmt er als Head-Autor, wie es mit dem Fürstenhof in der ARD-Telenovela «Sturm der Liebe» weitergeht.
Herr Süß, vor rund fünfzehn Jahren waren Sie Chefautor bei «GZSZ», seit acht Jahren sind Sie bei «Sturm der Liebe» für die Geschichten zuständig. Gibt’s Unterschiede oder ist beides eine Daily?
Bei «Sturm der Liebe» haben wir ein ganz anderes System. Es fängt damit an, dass bei uns nicht wie damals bei «GZSZ» sechs oder sieben fest angestellte Storyliner arbeiten und dazu zwei Storyeditoren, die die Geschichten mit entwickeln. Bei «Sturm der Liebe» arbeiten bei der Storyentwicklung drei freie Autoren, mit denen ich die Handlungen der Woche durchspiele und die dann den ganzen Block gemeinsam entwickeln. Das hat viele Vorteile: Man kann bereits zu Beginn der Woche ausloten, wo man die Geschichten sich kreuzen lassen, wie man sie dichter, reicher erzählen kann. Das ist einfacher, als wenn man, wie früher bei «GZSZ», mehrere Gruppen bildet, die die Stränge plotten und erst im Nachhinein die Geschichten daraufhin überarbeitet, dass man Figuren aus verschiedenen Strängen mit ihren jeweiligen Emotionen einander kreuzen lässt.
Wieso?
Ein Problem beim Plotten in verschiedenen Gruppen besteht darin, dass die einzelnen Geschichten erst, nachdem sie fertig sind, zu einer Folge zusammengesetzt werden. Und das ist Mist: Oft berühren sich die unterschiedlichen Storylines in einer Folge sehr wenig. Der Zuschauer möchte aber, so meine These, keine Stränge sehen, sondern eine runde Folge, in der möglichst alle mit allen zu tun haben. Nur so entsteht eine für den Zuschauer mutmaßlich reizvolle Welt, in der er eine Ordnung am Werke sieht, die er vielleicht in seinem Leben schmerzlich vermisst.

Wenn wir bei «Sturm der Liebe» über Probleme sprechen, dann jammern wir auf hohem Niveau. Vor allem aber 2011 und 2012 sanken die Quoten deutlich sichtbar. Gibt es dafür eine Erklärung?
Zum einen gab es neue Gegenprogramme. ProSieben setzt seit einiger Zeit voll auf gerade bei den Jüngeren beliebte Wiederholungen amerikanischer Sitcoms. RTL war von Beginn an mit seinen «Verdachtsfällen» sehr stark, während zuvor die Nachmittagsschiene von RTL ein Problemkind des Senders war. Hinzu spielt die immer stärke Fragmentierung des Fernsehmarktes eine Rolle – und auch das Internet: Vor allem die jüngeren Zuschauer von «Sturm der Liebe» rufen unsere Serie vermehrt in der Mediathek ab, und diese Zuschauer werden ja erst in Zukunft in die Quotenberechnung mit einfließen.Wir wissen, dass ein Großteil der zumeist jüngeren Fans, die aktiv in unserem Forum posten, die Episoden im Netz schauen – der Anteil liegt bei fast 70 Prozent!

Inhaltliche Fehler gab´s nicht?
Überall, wo Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. Nach zwei eher konservativen Hauptgeschichten wagten wir in der letzten Staffel etwas sehr Wildes: Die Geschichte handelte von Zwillingen, die dieselbe Frau lieben, es gab eine schweren Unfall mit anschließender Gesichtsoperation eines Zwillings. Wir segelten hart am Wind der Glaubwürdigkeit. Aber das Risiko bin ich sehr bewusst eingegangen: Ich wollte einfach mal wieder «Bigger Than Life» erzählen.
Zugleich zogen wir in die neuen Studiohallen 4 und 5 hier auf dem Bavaria-Gelände. Das bedeutete, neue Dekos, zudem, wie bei jedem Staffelwechsel, viele neue Figuren Dies zusammen mit der Umstellung auf HD sorgte für einen neuen Look, bei dem unsere Zuschauer sich zunächst nicht recht wohl fühlten. Zusammen mit der wilden Storyline war das etwas zu viel auf einmal. Auf der anderen Seite: Ich stehe auch heute noch zu der Geschichte, habe sie angestoßen. Wir mussten damals etwas wagen. Im Nachhinein wäre es cleverer gewesen, wenn wir wegen des neuen Looks erst etwas Klassisches erzählt hätten, z.B. unseren aktuellen Hauptkonflikt Mutter-und-Tochter-sind-in-denselben-Mann-verliebt, und erst im Anschluss eine inhaltlich unkonventionellere Hauptstory.

Solche Fehler passieren durchaus öfter. Ich denke an «Anna und die Liebe».
«Anna und die Liebe» hat etwa 150 Folgen gebraucht, bis es erfolgreich wurde. Und sehr bald hat man die weibliche Hauptfigur der ersten Staffel zurückgeholt, gespielt von Jeanette Biedermann. Mit dem Tod ihres ersten Love Interests zerstörte man das Märchen aus Staffel eins. Dagegen ist erst mal nichts zu sagen. Es gibt kaum ein Genre, das grausamer ist als Märchen. Und schließlich haben wir auch das Märchen von Robert und Miriam aus unserer zweiten Staffel zerstört. Aber bei uns lagen mehr als drei Jahre zwischen den beiden Staffeln, in denen Robert Saalfeld die männliche Hauptfigur spielte! Und neben der zu schnellen „Zerstörung des Märchens“ bei AudL im Vergleich zu uns gab es noch einen anderen, meines Erachtens entscheidenden Unterschied: Wir haben die Frau sterben lassen – und Robert hat sich neu verliebt. Ich glaube, es ist viel schwieriger, den Zuschauerinnen zu verkaufen, dasss die weibliche Hauptfigur, nachdem sie ihre erste große Liebe verloren hat, umstandslos eine neue sucht und schließlich auch findet. Der Zuschauer fühlt sich noch im Nachhinein geprellt um das erste Märchen.

Seit drei Wochen erlebt «Sturm der Liebe» ein Quotenhoch. Kommt das nun rein zufällig?
Wir haben eine sehr treue Stammzuschauerschaft, vor allem beim älteren Publikum. Zwei Millionen schauen uns immer zu. Bei so schönem Wetter wie zuletzt sinkt die Gesamtreichweite nach 15.00 Uhr dramatisch. Wenn wir unsere Reichweite aber halten oder, wie zuletzt geschehen, sogar steigern, dann bedeutet dies vier bis fünf Prozent Gewinn bei den Marktanteilen.

Die haben Sie aber 2012 nicht gewonnen…
Richtig. Wir ernten gerade, was wir zum Teil über ein Jahr gesät haben. 2012 war die Geschichte zu diesem Zeitpunkt zwar auch emotional, reich und dicht, gleichzeitig aber zu kompliziert. Wir mussten mit vielen Flashbacks arbeiten, damit die Menschen, die mal drei Folgen verpasst hatten, mitkommen. Zurzeit haben wir drei große Hauptgeschichten, die jetzt alle nacheinander auf ihre Höhepunkte zusteuern. Eine davon erzählen wir seit fast siebzig Wochen. Seit dreißig Wochen erzählen wir eine Dreiecksgeschichte mit den jüngeren Figuren Xaver, Kira und Martin, die ebenfalls dem Finale entgegen strebt. Und in unserer Hauptgeschichte wird der Zuschauer in den nächsten Wochen den großen Turning-Point erleben, wenn nämlich dem Love-Interest Konstantin – zunächst unterbewusst – klar wird, dass er eigentlich in die Tochter, Marlene, verliebt ist, während er mit ihrer Mutter verlobt ist.

Sie haben gerade wieder zusammengesessen mit ihrem Team und die Geschichten der nächsten Monate erdacht. Was erwartet uns?
Eine sehr klassische Liebesgeschichte, wie man sie aus lateinamerikanischen Telenovelas kennt, und zugleich etwas abgewandelt. Logline: Ein Aschenputtel, das selbstredend in Wirklichkeit eine Prinzessin ist, meets «Downton Abbey». Die ersten neuen Figuren werden die Zuschauer in den kommenden Wochen kennenlernen. Interessante Figuren, in interessanten Situationen und mit Konflikten, von denen ich hoffe, dass sie den Zuschauer in den Bann ziehen. Wir führen sie acht bis zehn Wochen vor dem Staffelende ein. Und auch das auslösende Ereignis der nächsten Staffel wird noch in der aktuellen Staffel enthüllt. Nur so viel: Es geht in der neuen Staffel erneut um den Fürstenhof – und da wird’s gewaltig krachen. Neue Details aus der Vergangenheit kommen ans Tageslicht. Zudem haben wir eine neue böse Antagonistin. Mit ihr gehen wir neue Wege. Da sie wesentlich jünger ist als die früheren Antagonistinnen wie etwa Barbara von Heidenberg oder Cosima Zastrow wird sie erstmals auch in Liebesdingen die direkte Gegenspielerin der weiblichen Hauptfigur.

Ich kann Sie nicht entlassen, ohne mit Ihnen noch über den Erfolg von «Berlin – Tag & Nacht» zu sprechen und auch über «Köln 50667», gleichzeitig aber auch über «Patchwork Family», das nicht gut lief. Haben Sie da eine Erklärung?
Ich habe von allen Formaten nicht viel gesehen, das ist nicht ganz meins. Deshalb bleibe ich bei meinem Urteil auch vorsichtig. Ich denke, ein Teil der Faszination der ersten Scriped-Reality-Formate rührt daher, dass die Sendungen krawalliger sind als die altgedienten Soaps. Im Grunde springen sie dem Zuschauer mit dem nackten Arsch mitten ins Gesicht! Das ist wohl auch ein Grund, warum die Formate bei Älteren nicht so der Hit sind. Sie laufen für RTL II-Verhältnisse stark, durch die Decke geht es aber nur bei den ganz Jungen. Dass «Patchwork Family» ein Misserfolg war, mag daran liegen, dass die Zuschauer von solchen Formaten eben genau diesen Krawall, dieses Direkte, Ungebärdige erwarten, und «Patchwork Family» diese Erwartungshaltung nicht erfüllte, wohl auch nicht erfüllen wollte, da man fiktionaler erzählt und auch produziert hat. Ich schaute mir einige Episoden an – und fühlte mich gut unterhalten. Das war gut gemacht und produziert, es schrieben daran auch viele Autoren mit langjähriger Soap-Erfahrung. Es blieb aber ein Zwitter – und daran krankte die Serie mutmaßlich von Anfang an. Aber vielleicht muss man einfach noch ein paar Versuche mit solchen Mix-Formaten wagen, denn eine interessante Entwicklung ist es auf jeden Fall.
05.05.2013 11:47 Uhr Kurz-URL: qmde.de/63577
Manuel Weis

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