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Der Fernsehfriedhof: Wut, Steuern und Tränen

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 81: Der erste Abbruch einer Livesendung im deutschen Fernsehen.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer der beliebtesten Sendungen der 90er Jahre.

«Schreinemakers Live» wurde am 29. Januar 1992 in Sat.1 geboren und entstand zu einer Zeit, als die noch frischen Privatsender die deutsche Fernsehlandschaft auf den Kopf stellten. Mit neuen Sendungen überspitzten und radikalisierten sie das bisherige Programm. Zu diesen Formaten gehörte auch das Magazin von Margarethe Schreinemakers, die zuvor vor allem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit den Shows «Extratour», «NDR Talkshow» und «Wortschätzchen» aufgefallen war. Ihre Show in Sat.1 war eine Mischung aus klassischem Magazin mit Enthüllungsbeiträgen und Talkshow. Im Anschluss an einen Beitrag sprach sie oft mit Betroffenen im Studio. Neu war jedoch, dass sie auch vermeintliche Tabu-Themen aufgriff. Themen wie Durchfall, Swingerclubs oder Brustvergrößerungen wurden so im Hauptabendprogramm ausführlich diskutiert. Zudem bemühte sich die Moderatorin oft gar nicht eine journalistisch, neutrale Rolle einzunehmen, sondern reagierte ungewohnt emotional. Nicht selten kamen ihr die Tränen, wenn Betroffene von ihren Schicksalsschlägen berichteten. Aufgebrochen wurden diese Segmente immer wieder durch Prominente, die sich unter anderem pikanten Fragen über ihr Privatleben stellen mussten, während sie an einer Art Lügendetektor angeschlossen waren.

Ihre Emotionalität wurde schnell zu einem dankbaren Angriffspunkt für sämtliche Medien, die Schreinemakers zur „Heulsuse der Nation“ ernannten. Auch das Team von «RTL Samstag Nacht» hob eine Parodie auf die populäre Sat.1-Show aus der Taufe, in der Tanja Schumann den nasalen und leicht nervigen Tonfall von Schreinemakers perfekt imitierte. Die echte Schreinemakers trat später sogar selbst dort auf.

In ihrem ersten Jahr lief die Sendung am Mittwoch nach 22.00 Uhr und damit noch gegen Günther Jauchs «SternTV» bei RTL. Ab Herbst 1993 wechselte sie jedoch aufgrund ihrer guten Zuschauerzahlen ins Hauptabendprogramm auf ihren festen Sendeplatz am Donnerstag um 21.15 Uhr. Dort wurde sie noch populärer und erreichte zu ihren besten Zeiten regelmäßig sechs bis sieben Millionen Zuschauer. In der Spitze waren sogar über acht Millionen dabei, sodass Sat.1 die Sendezeit auf drei Stunden ausweitete. Aufgrund dieses Erfolgs war Konkurrent RTL sehr an der Sendung interessiert und schaffte es tatsächlich diese zu übernehmen. Der Wechsel wurde allerdings bereits rund ein Jahr vor dem Umzugstermin Anfang 1997 bekannt.

Auf der Spitze ihres Erfolges wurde Schreinemakers schwanger und legte von März bis August 1996 eine Schwangerschaftspause ein, in der ihre Sendung jedoch nicht pausierte, sondern stattdessen von Jörg Wontorra präsentiert wurde.

Während dieser Zeit wurden auch erstmals Gerüchte bekannt, Schreinemakers würde Steuern hinterziehen. Anlass war vor allem ihr Wohnsitz in Belgien sowie der Sitz ihrer Produktionsfirma in den Niederlanden. Schreinemakers selbst fühlte sich einem persönlichen Racheakt des damaligen Finanzministers Theo Waigel ausgesetzt, dessen Exfrau zuvor in ihrer Sendung zu Gast war. Als die Vorwürfe immer lauter wurden, wollte sich die Moderatorin während ihrer eigenen Sendung zu diesen äußern. Der Sender Sat.1 verbot dies allerdings öffentlich, weil es sich um eine private Angelegenheit handeln würde. Mit Spannung wurde daher ihre Rückkehr aus der Babypause erwartet, in der sie trotz des Verbotes ankündigte sich äußern zu wollen.

Am Ende der Ausgabe vom 22. August 1996 kam es dann zum Eklat. Kurz nachdem sie begann das Thema einzuleiten und ein Einspielfilm lief, brach der Sender die Livesendung unter den Augen der Zuschauer ab. Stattdessen verlas der damalige Nachrichtensprecher Ulrich Meyer eine Stellungnahme. Das Verhältnis zum Sender Sat.1 war zu diesem Zeitpunkt bereits wegen des bevorstehenden Wechsels angespannt. Vorangegangen waren zudem Differenzen über ihren Sendeplatz, der sich mit den regulären Sendezeiten der neuen «Harald Schmidt Show» überschnitt. Die abgebrochene Stellungnahme zeigte ihr zukünftiger Sender RTL am folgenden Tag in seinem Magazin «Explosiv».

Trotzdem präsentierte Schreinemakers die restlichen Sendungen in Sat.1 gemäß ihres bestehenden Vertrags, der Ende des gleichen Jahres auslief. Als die Show ab Januar 1997 nahtlos und mit unverändertem Konzept zu RTL wechselte und nun «Schreinemakers TV» hieß, hatte der Wirbel um die Show dieser bereits stark geschadet. An die früheren Erfolge konnte sie nun nicht mehr anknüpfen. Die Quoten sanken derart ab, dass RTL nach rund einem Jahr entschied die Sendung einzustellen. Allerdings sicherte der Vertrag eine Mindestlaufzeit bis zum Sommer 1998 zu. RTL war daher bereit eine Entschädigung von 18 Millionen DM zu zahlen. Schreinemakers forderte jedoch rund 40 Millionen. Es folgte ein interner Rechtsstreit, den Schreinemakers gewann. Über die tatsächliche Höhe der Zahlung wurde nichts bekannt.

«Schreinemakers Live» bzw. «Schreinemakers TV» wurde am 18. Dezember 1997 beerdigt und erreichte ein Alter von sechs Jahren. Die Show hinterließ die Moderatorin Margarethe Schreinemakers, die 2001 ein umstrittenes Comeback mit der Reality-Show «Big Diet» hatte, 2004 mit ihrer täglichen Talkshow «Schreinemakers» im Ersten und vier weitere Jahre später sogar mit einer Call-In-Sendung bei 9Live scheiterte. Die Vorwürfe zur Steuerhinterziehung wurden im Jahr 1998 nach einer Spende an karitative Einrichtungen eingestellt.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einem «Wetten Dass...?» für Arme.
01.04.2010 10:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/41099
Christian Richter

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