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Die Kritiker: «Im Abgrund»

Tobias Moretti gibt einen mephistophelisch-gruseligen Kindertotschläger, der zügig wieder hinter Gitter gehört. Wie der Titel vorgibt, tun sich da rasch Abgründe auf – nur leider ganz andere, als die Macher beabsichtigten.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Peter Kurth als David Wallat
Tobias Moretti als Joseph Maria Hagenow
Simon Schwarz als Eric Thuner
Tinka Fürst als Lisa Kampe
Florian Stetter als Christoph Berkenbusch
Jessica McIntyre als Eva Wallat
Odine Johne als Claudia Garschke

Hinter der Kamera:
Produktion: Wüste Medien GmbH
Drehbuch: Arndt Stüwe
Regie: Stefan Bühling
Kamera: Marco Uggiano
Produzenten: Uwe Kolbe und Björn Vosgerau
Wenn nur dieses Scheißrecht nicht wäre. Dann hätte der mephistophelisch-gruselige Joseph Hagenow (Tobias Moretti) nämlich buchstäblich für den Rest seines Lebens hinter Gitter gebracht werden können, nachdem er damals einen Jungen entführt und im Wald in eine Kiste gesperrt hatte, aus der er nicht mehr lebend raus kam. Wegen eines paragraphenreitenden und bedenkentragenden Richters hat es aber nur zu einer Verurteilung wegen Totschlags gereicht – was im Volksmund wie in den Gehirnen von öffentlich-rechtlichen Fernsehautoren mehr oder weniger dasselbe ist, nur dass es dann eben blöderweise heißt: Hagenow kommt nach fünfzehn Jahren raus, ob er gefährlich ist oder nicht.

Aber dass er wieder frei ist, „heißt nicht, dass wir nichts tun können“, tanzt die zuständige LKA-Leiterin zuversichtlich ihren Kollegen vor, die den Mann in seinem neuen Domizil nun rund um die Uhr observieren werden. Wenn es sich machen lässt, sollen sie ihm ruhig eine Falle stellen, damit diese tickende Zeitbombe so schnell wie möglich wieder in den Bau fährt. Aber bloß nicht erwischen lassen: Denn sofern die Interne Ermittlung oder die Staatsanwaltschaft von den windigen, kriminellen Plänen des Landeskriminalamts erfahren würden, wäre genauso schnell Essig mit der Observierung – und Hagenow könnte sich in aller Ruhe neue Kinder zum Schänden beschaffen.

Durch den Rest des Figurenpersonals wird die brachiale Logik dieses Films leider nicht wesentlich differenzierter: Teamleiter David Wallat (mit beeindruckender Präsenz: Peter Kurth) will sein schlechtes Gewissen ob des Umstands korrigieren, dass er Hagenow vor eineinhalb Jahrzehnten nicht brutal genug verhört hat: Sonst könnte ein anderes Opfer möglicherweise noch leben. Sein langjähriger Kollege Eric Thuner (Simon Schwarz) soll dagegen als Korrektiv fungieren und dafür sorgen, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft.

Als nun in jenem behüteten niedersächsischen Dorf nach Hagenows Haftentlassung ein Kind verschwindet, fackeln David und seine junge Kollegin Lisa Kampe (Tinka Fürst) nicht lange – im Zweifel muss man die Wahrheit aus dem einzigen Verdächtigen eben rausprügeln oder rauswaterboarden. Eric war aber schon vor fünfzehn Jahren schwierig, als es zur Sache ging, und „Eric bleibt Eric“, ist sich Cowboy-Cop David sicher. „Es gibt Grenzen. Die machen uns zu Menschen“, redet der aufrichtige Rechtskonforme auf den Präventionsabsolutisten ein, nur um sich ein „Du hast wirklich den Arsch offen“ einzufahren.

Das Niveau dieser Diskussion erinnert an die verunglückte Konstellation vom letzten Montag bei «Hart aber Fair», als mit Dr. Karl Lauterbach ein Epidemiologe, der an Harvard studiert und gelehrt hat, sein Fachgebiet mit dem Palim-Palim-Typen diskutieren musste, der schon von primitivsten medizinischen Zusammenhängen nicht die leiseste Ahnung zu haben schien. Das mag eine entlegene Parallele sein, illustriert aber vielleicht ganz treffend jenes Grundsatzproblem, das auch «Im Abgrund» heimsucht: die „falsche Äquivalenz“.

Dieser Film will den Versuch unternehmen, anhand der Gegenüberstellung einer absoluten Rechtsgehorsamkeit und dem Übertreten von rechtlichen und ethischen Normen, wenn es die immense Gefahr für Leib und Leben eines unschuldigen (!) Kindes (!) rechtfertigen (!) soll, die Grenzen beider Haltungen auszuleuchten. Nicht (ausreichend) bedacht hat das Drehbuch dabei, dass beide Vorstellungen denklogisch nicht im Ansatz miteinander konkurrieren können: Die Eine ist der Grundsatz, auf dem unsere gesamte Zivilisation fußt. Die Andere ist die Vollendung des Barbarismus. Allein die potentielle Gleichsetzung der ersten Haltung mit der zweiten zum Zweck ihrer argumentativen Mal-schauen-was-besser-ist-Gegenüberstellung entwertet und entweiht sie in unbotmäßiger, unanständiger Weise.

Damit entfaltet dieser Film in letzter Konsequenz die Wirkung, als würde ein aufrichtiger, rechtskundiger Experte nachts mit einem besoffenen, populistischen Schlägertypen diskutieren, der die halbwegs diffizilen Einlassungen seines Gegenübers mit einem bärig geschleuderten „Arschloch“ zu entkräften versucht und trotzdem merkwürdigerweise mehr Sympathien einräumt. Denn auch wenn «Im Abgrund» passagenweise einen weiteren potentiellen Täter einführt, sind die Zuschauerkonventionen und –vorurteile zu absolut, als dass man sie nicht bedienen würde. Da können die Polizisten in zehn Sendeminuten noch so viele Straftatbestände erfüllen, dass sie damit selbst für ein Jährchen in den Knast wanden würden – am Schluss muss ihr moralisches Konto natürlich das sauberste von allen sein. Das ist in etwa so billig, wie wenn Dieter Hallervorden bar jeden Sachverstands den Profis Panikmache vorwirft – und entspricht somit leider diese Woche öffentlich-rechtlichen Sehgewohnheiten.

Das Erste zeigt «Im Abgrund» am Samstag, den 26. September um 20.15 Uhr.
24.09.2020 04:57 Uhr Kurz-URL: qmde.de/121557
Julian Miller

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Hart aber Fair Im Abgrund

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
24.09.2020 13:32 Uhr 1
Ich weiß nicht, ob ich überhaupt schon mal irgendeine Film Kritik von dir gelesen habe, die es überhaupt geschafft hat, wenigstens 50 % von dir zu kriegen!! :relieved:





Schon, wenn ich lese, dass du einen Film kritisiert hast, weiß ich schon von vorherein, dass der Film, egal, was für einer, kaum Chancen hat, bei dir überhaupt über 50 % zu bekommen!!
Montgomery
24.09.2020 16:56 Uhr 2
Wenn Julian Miller einen öffentlich-rechtlichen Film rezensiert, weiß man sofort, dieser Film kann nichts taugen. Julian Miller lässt jede Objektivität bei ÖR vermissen und sollte sich auf Netflix-Kritiken ( noch schaut nur die Minorität Stream ) beschränken.
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