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Die Kritiker: «Rampensau»

In der neuen VOX-Serie sehen wir Jasna Fritzi Bauer in ihrer bisher intensivsten Rolle. Für die Bücher zeichnen die Schöpfer von «Club der roten Bänder» und «Weinberg» verantwortlich. Kann da noch was schiefgehen?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jasna Fritzi Bauer als Shiri Conradi
Benjamin Lillie als Jonas
Laura Luisa Garde als Natti
Daniel Zillmann als Louis
Peter Fieseler als Ulf Rudnik
Lorna Ishema als Anja Rudnik
Florian Bartholomäi als Bastian Tess

Hinter der Kamera:
Produktion: UFA Serial Drama GmbH
Drehbuch: Jan Martin Scharf, Arne Nolting und Valentina Brüning
Regie: Dustin Loose, Christian Werner und Florian Knittel
Kamera: Clemens Baumeister, Anne Bolick und Martin Ludwig
Produzent: Guido Reinhardt
Wer eine gewisse Zeit im Mediengeschäft – egal in welcher Funktion – verbracht hat, kommt um eine Diagnose nicht umhin: Diese Branche ist pervers. Die Berufsbezeichnung Schauspieler mag für absolute Laien die Assoziationen Glitzer, Glamour und roter Teppich hervorrufen, doch der tatsächlich gelebte Alltag ist in neun von zehn Fällen: die bodenlose Depression.

So wie bei der Jasna Fritzi Bauer nicht nur optisch auf den Leib geschriebenen Shiri Conradi: Obwohl sie die Dreißig schon überschritten hat, fällt sie bei einem „Frauenrollen“-Casting nach dem anderen durch, weil sie phänotypisch noch nicht einmal wie jenseits der Volljährigkeit aussieht. Das erklärt auch, warum sich ihre schauspielerische Karriere trotz ihres unbestreitbaren Talents darauf beschränkt, in einem Hühnchenkostüm deppert vor Kindergruppen herumzuhopsen und alberne Liedchen zu trällern. Da wäre sogar «Berlin – Tag und Nacht» ein Aufstieg.

Immerhin steht ihr Boyfriend Jonas (Benjamin Lillie) kurz vor dem Durchbruch und will in wenigen Tagen zu Dreharbeiten nach Budapest aufbrechen. Doch Shiris Plan B – ihn dorthin zu begleiten, nachdem sie dem sexuell übergriffigen Kindertheaterfuzzi die Leviten gelesen hat – löst sich rasch in Luft auf. Jonas will eine „Beziehungspause“: Denn Shiri ist ihm zu „intensiv“.

Eine Beschreibung, die es ganz gut trifft, denn Shiri nimmt kein Blatt vor den Mund, steht immer unter Strom, ist ununterbrochen in jeder Situation vollkommen präsent, wird beim geringsten Anlass ausfallend – außer bei Jonas, den sie vergöttert. Diese Intensität der Rolle eröffnet auch Jasna Fritzi Bauer spielerische Möglichkeiten, die sie noch nicht in vielen Figuren nutzen konnte – und wahrlich: Sie legt hier eine erstaunliche Tour de Force hin, spielt die zerrissene, frustrierte, wütende, verzweifelte und maßlos selbstbewusste Shiri perfekt auf den Punkt.

Das passt super zum Duktus dieser Serie, der keine Einstellung, kein erschütternder Moment, keine schockierende Wendung zu intensiv ist. #MeToo tritt dabei zwar auch als Buzzword auf, wird jedoch an anderer Stelle deutlich beeindruckender mit Leben gefüllt: als Shiri in einem Raum mit einem herablassenden perversen Gebrauchsfilmregisseur landet, der an ihr seinen Entwürdigungsfetisch ausleben will und sie damit in eine Zwickmühle nach der anderen bringt. Ohne erzählerisch inkonsequent zu werden, verlässt «Rampensau» hier seinen zumeist ironisch-distanzierten Blickwinkel und nimmt klaustrophobische, beklemmende Züge an, die ein schier allgegenwärtiges antifeministisches Machtgefüge radikal dekonstruieren.

Doch leider hat sich die Serie aus der Feder der «Weinberg»- und «Club-der-roten-Bänder»-Autoren dazu entschieden, den Pfad der Milieu- und Charakterstudie früh wieder zu verlassen und nur punktuell zu ihm zurückzukehren. Denn sein dramaturgisches Rückgrat will das Format auf einem ganz anderen Handlungsstrang aufbauen: An einer Berliner Schule gehen Unmengen Drogen um und die Polizei sucht dringend nach einem verdeckten Ermittler, den man glaubhaft ins Schulleben einschleusen könnte. Aufgrund ihres jugendlichen Aussehens und ihres schauspielerischen Talents ist Shiri die perfekte Kandidatin – und wenn sie mitspielt, kommt auch Boyfriend Jonas frei, nachdem ihn Shiris Beinahe-One-Night-Stand-Polizist mit einer Tasche voller Amphetamine verhaftet hat.

Die sich daraus ergebenden Polizeispielchen und Pennälerquerelen geraten jedoch nicht nur ziemlich albern, sondern lassen gleichsam den individuellen Blickwinkel, den Ideenreichtum und die Charaktertiefe vermissen, mit denen «Rampensau» ansonsten brilliert. Stattdessen degenerieren sie zum störenden Element, das Bauer bei ihrer einnehmenden Performance unnötig unterbricht. Besser gefallen dagegen die radikal verkürzten und sehr präzise ausgeschriebenen Details aus dem "öffentlichen" Leben der Nebenfiguren, mit denen ihre tatsächlichen Lebensumstände im Privaten konterkariert werden: Der geschäftige Pflichtverteidiger muss nachts Bratwürste für eins sechzig verticken, Shiris Beinahe-One-Night-Stand hat Ehestress mit seiner attraktiven Partnerin, nachdem deren Ex ein literarisches Feuerwerk über ihre damaligen gemeinsamen sexuellen Eskapaden veröffentlicht hat.

Nach einem unverfälschten, authentischen und mitunter schonungslos deprimierenden Einstieg verfranzt sich «Rampensau» leider ein wenig in unnötigen Plot-Abzweigungen. Die sollen zwar einen dramaturgischen Vorwärtsdrang erzeugen, damit nicht zu lang in der Betrachtungsebene auf der Stelle getreten wird, stehlen aber dem einnehmenden Hauptaspekt dieses Formats die Sendezeit: der Neuordnung von Rampensau Shiris Leben, die ohne allzu verfremdete und überkandidelte Nebenhandlungsstränge nur eine noch größere Wucht entfaltet hätte.

VOX zeigt acht Folgen von «Rampensau» mittwochs ab dem 20. November um 20.15 Uhr, jeweils in Doppelfolgen. Jeweils eine Woche vorher sind die Folgen auch bei TVNow abrufbar.
19.11.2019 11:20 Uhr Kurz-URL: qmde.de/113769
Julian Miller

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Tags

Berlin – Tag und Nacht Rampensau Weinberg Club-der-roten-Bänder

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Familie Tschiep
20.11.2019 22:02 Uhr 1
Das gilt auch für die Bonusfamilie, warum muss das alles auf Vorlagen basieren. Gibt es keinen deutschen Autoren mehr, der selbstständig eine Serien entwickeln kann. Oder hat man kein Vertrauen in solche Arbeiten?



Die Serie war nicht schlecht. Wunderbare Hauptfigur.
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