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5 Köpfe: Bingen oder nicht bingen, das ist hier die Frage

Disney+ wird sich bei der Veröffentlichung seiner Serien nicht von Netflix inspirieren lassen: Statt alles auf einen Schlag zu veröffentlichen, werden Episoden wöchentlich online gestellt. Fünf Quotenmeter.de-Köpfe diskutieren: Sind Binge-Veröffentlichungen besser?

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Fabian Riedner:
Netflix hat das Serien-Schauen revolutioniert! Das „Bingen“, also eine Folge nach der anderen zu konsumieren, kam mit dem kalifornischen Streaminganbieter auf. Das hat durchaus seine Vorteile, allerdings werden die Episoden nicht zum „Talk of the Town“. Wer erinnert sich noch an die achte Folge der dritten «House of Cards»-Staffel? HBO zeigte erst im Frühjahr, dass die lineare Ausstrahlung mehr Potenzial beweist. Jede Folge «Game of Thrones» wurde intensiv von den Fans besprochen.
 
Eine Studie hat schon vor langer Zeit herausgefunden, dass extremes Binge-Watching vorwiegend von Depressiven respektive Menschen mit einem kleinen oder gar keinen vorhandenen Freundeskreis betrieben wird. Überlegt man, dann ist die Studie naheliegend. Wer hat denn tatsächlich Zeit, eine Serie wie «Élite» über ein Wochenende anzuschauen?
 
Die Rückkehr zur linearen Ausstrahlung, wie es Disney+ machen möchte, kann durchaus sinnvoll sein. Allerdings sollte man hier verschiedene Mischformen anwenden. Apple möchte drei Episoden auf einen Schlag anbieten und wöchentlich neue Abenteuer hinzufügen. Damit komme man besser „in die Serienhandlung“ hinein. Ebenfalls nachvollziehbar.
 
Bei gewissen Eventserien könnte man auch ein völlig neues Konzept realisieren: Das deutsche Projekt «How to sell drugs online (fast)» war eine gute Dramedy, die auch im kommenden Jahr in die Verlängerung geht. Die Episoden an sich unterscheiden sich vom Inhalt allerdings nicht so sehr, dass man jede Woche darüber sprechen würde. Es ist eben doch ein Unterschied, ob man diese Serie veröffentlicht oder ein monumentales Werk wie «Game of Thrones». Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass man alle Folgen einer Serie auf einen Schlag seinen Abonnenten zur Verfügung stellt – mit Ausnahme der Auflösung. So werden die Zuschauer über einen Zeitraum – von beispielsweise einem Monat – heiß auf das Finale gemacht. Innerhalb eines Wochenendes kann dann das letzte Kapitel verfolgt werden. Vielleicht wäre auch so die letzte Staffel von «House of Cards» noch zum Stadtgespräch geworden?

Julian Miller
Zu einer Zeit, als man von so etwas wie dem läppischen 56-k-Modem noch nicht einmal zu träumen wagte, musste man als in Europa lebender Serienfan noch regelmäßig in Amerika lebende Freunde anhauen, bitte den Mitschnitt der nächsten Folge von «Seinfeld», «Cheers», «Twin Peaks» oder auch nur «Dallas» gleich am nächsten Tag zum Luftpostzentrum zu schaffen, um die ohnehin mehrwöchige Wartezeit auf den neuen Stoff nicht noch unnötig zu verlängern. Man kam sich ein bisschen vor wie die New Yorker Literaturfanatiker, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in bitterer Kälte am örtlichen Hafen ausharrten, um als Erste das neue Kapitel des jeweils aktuellen Fortsetzungsromans von Charles Dickens in den Händen zu halten.

In der heutigen Welt von Instant Gratification und opulenten Streaming-Möglichkeiten ist das eine irgendwie wohlige Horrorvorstellung, die uns die Entbehrungen der steinzeitlichen Lebensverhältnisse verdeutlicht, in denen wir noch vor wenigen Jahren existieren mussten. Wie schön, dass uns Anbieter aller Kaliber ihre extrem horizontale Ware nicht mehr scheibchenweise Woche für Woche, sondern geballt auf einem Haufen liefern. Man kann nach einem der Twists in «House of Cards» eh nicht schlafen? – Weiter geht’s. Man fühlt sich nach einem Abend stundelanger Bruck-Pastewka-Wortgefechte wie ein Teil der Marienburger Wohnungseinrichtung? – Bloß nicht aufhören, wenn’s am schönsten ist. Carrie Mathison hat gerade die ranghöchste Beamtin der Berliner CIA-Station als russische Spionin enttarnt? – Sofern man sich die Folgen der Showtime-Ausstrahlung aufgespart hat, geht das Spielchen direkt weiter.

Skeptiker dieses gehobenen Bulimiefernsehens wenden nun ein, dass diese Möglichkeit des Alles-Jetzt-Sofort die Romantik am Fernsehen kaputtmache, die spinnerten Fan-Theorien, das tagelange Mitknobeln, das Adrenalin, wenn endlich die Fortsetzung ins Haus steht, das Schnacken am sprichwörtlichen Watercooler. Doch wer will, kann das ja immer noch haben. Die Junkies unter uns verzichten derweil gern auf die Entzugserscheinungen. Für uns ist’s eh zu spät.
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22.09.2019 13:28 Uhr Kurz-URL: qmde.de/112359
Florian Kaiser, Manuel Weis, Fabian Riedner, Julian Miller, Sidney Schering

super
schade


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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Nr27
23.09.2019 12:59 Uhr 2
Ich war schon immer der Meinung, daß Bingewatching nur bei ganz wenigen Serien (z.B. "The Walking Dead", "Game of Thrones") wirklich Sinn macht, insofern habe ich keinerlei Problem damit, wenn sich die wöchentliche Veröffentlichung wieder durchsetzen sollte.



Und wer trotzdem jede Serie "bingen" will, der soll halt einfach warten, bis die Staffel durch ist und sie dann anschauen. Ich sehe da kein Problem - allerdings bin ich auch mit einem Mindestmaß an Geduld gesegnet ... ;)
LittleQ
23.09.2019 17:53 Uhr 3


Naja, theoretisch kann man die Argumentation von Manuel auch einfach umkehren. Wer alles aufeinmal sehen will, braucht eben genug Disziplin, um bis zum Ende zu warten und es dann durchzusuchten?! Ist ja im Prinzip das, was der User Nr27 sagt.

Persönlich ist es mir eigentlich egal, auch wenn ich diesen Wochenrythmus bevorzuge. Hatte schonmal wo anders geschrieben, dass ich es doch sehr vermisse, dass ein Stück Diskussionskultur mit dem Massenkonsum kaputt gegangen ist, weil man sich nicht mher Woche für Woche austauscht, sondern die Staffeln nur noch runterrotzt und man nur noch Meinungen zu dem kompletten Klotz liest und diskutiert. Schade...



Aus Sicht von Disney finde ich die Rückkehr gar nicht so doof. Wenn man sich irgendwann an die Disney-Serien bindet (und auf die Star Wars Serie bin ich jetzt schon gespannt), dann wird man das Disney+-Abo nicht nach einem Monat kündigen, sondern im Zweifelsfall einfach den nächsten und den übernächsten Monat mitkaufen, um dran zu bleiben. Und bei 7 Euro im Monat ist man im Zweifelsfall lieber einen Monat zu viel dabei als einen zu wenig.



So kommt man den "dann hab ich einen Monat Netflix und einen anderen Monat Disney+" Fans zuvor, die sich, falls die Angebote stimmen, dann frühzeitiger auf die neue Plattform einlassen, dort bleiben und bei Bedarf vielleicht eher Netflix für einen Monat mit dazu kaufen.

Das alles unter der Voraussetzung, dass Disney genug hat, um die Leute zu binden.



Würde Netflix nämlich Serien im Wochenrhythmus ausstrahlen, hätte ich bei denen beispw. auch das ganze Jahr was zu schauen. Aber so reichen mir im Prinzip 3 Monate im Jahr. Der Rest läuft dann eher so nebenher.
Princeps
23.09.2019 21:45 Uhr 4
Ich finde diese Diskussion nahezu unnötig. Die einzigen Menschen, die entscheiden sollten, wie eine Serie veröffentlich wird, sind die, die sie kreiert haben und sicherlich eine konkrete Position dazu haben, wie ihre Kunst zu Beginn konsumiert werden sollte. Und sobald alle Episoden existieren, liegt die Entscheidung halt bei den Zuschauer*innen. Alle anderen Vor- und Nachteile unterliegen natürlich einer vernünftigen Argumentation, sind aber entweder den Kreierenden oder Schauenden gegenüber bevormunden oder so bizarr ökonomisch orientiert, dass sie die Kunst auf eine Art und Weise zur Ware machen, dass es unangenehm wird.
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