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«Charité II»: Serie ohne Helden

Die 2. Staffel von «Charité» spielt unterm Hakenkreuz und das Format erlaubt sich ein fernsehfilmisches Wagnis. Denn einen lupenreinen Helden sucht man im Figurenensemble vergebens – wenn auch nicht ganz freiwillig.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Mala Emde als Anni Waldhausen
Jannik Schümann als Otto Marquardt
Ulrich Noethen als Prof. Ferdinand Sauerbruch
Luise Wolfram als Margot Sauerbruch
Artjom Gilz als Artur Waldhausen
Frida-Lovisa Hamann als Schwester Christel
Hans Löw als Prof. Adolphe Jung
Lukas Miko als Prof. Max de Crinis
Katharina Heyer als Magda Goebbels

Hinter der Kamera:
Produktion: Ufa Fiction GmbH und MIA Film
Drehbuch: Dorothee Schön und Dr. Sabine Thor-Wiedemann
Regie: Anno Saul
Kamera: Holly Fink
Produzenten: Benjamin Benedict, Markus Brunnemann, Nico Hofmann und Sebastian Werninger
In der Berliner Charité ist die Nazi-Zeit angebrochen. Die hochschwangere Anni Waldhausen (Mala Emde) macht gerade ihr Examen bei der (historischen) Chirurgiekoryphäe Professor Sauerbruch (Ulrich Noethen), der am OP-Tisch auf den leisesten Anflug von Inkompetenz mit den vernichtendsten Tiraden reagiert. Zu Anni hat er aber einen guten Draht, und die junge Frau ist selbstbewusst genug, das dumme Geschwätz der lauten misogynen Minderheit von Kommilitonen und Offiziellen an sich abprallen zu lassen, sie könne Volk, Führer und Vaterland als Gebärmaschine besser dienen denn als Ärztin. Ihr Ehemann Artur (Artjom Gilz) arbeitet als Kinderarzt ebenfalls an der Charité und ist hauptsächlich damit beschäftigt, medizinische Experimente an „Reichsausschusskindern“, also Behinderten, unheilbar Kranken oder „rassisch Unreinen“ vorzunehmen. Annis Bruder Otto (Jannik Schümann) ist kürzlich ebenfalls in Berlin eingetroffen: Er wurde vom Frontdienst beurlaubt, um sein Medizinstudium zum Abschluss zu bringen.

Während Anni und Artur, der Nazi-Propaganda weitgehend anheimgefallen, im zeitgenössischen unterschwelligen deutschen Common Sense von Rassenhygiene, Volksgesundheit und Endsieg existieren, ist Otto den größenwahnsinnigen deutschen Illusionen schon lange erwachsen: Der Kriegseinsatz hat ihn traumatisiert, und spätestens wenn er nach ein paar Gläsern Branntwein der exzessiven Selbstkontrolle verlustig gegangen ist, platzt das Unsagbare aus ihm heraus.

In einem neuen Patienten auf der Chirurgie erkennt er einen alten Kameraden wieder: Der hat sich – für Kriegskundige relativ offensichtlich – einen „Heimatschuss“ versetzt. Das hat ihm nun zwar das Bein gekostet, ihn aber wenigstens weit weg vom Grauen der Ostfront gebracht. Ottos Schwester, die gerade über die psychiatrische Diagnostik bei Verdacht auf Selbstverstümmelung dissertiert, will den Fall für ihre Arbeit aufgreifen und stellt den Patienten ihrem Doktorvater Professor Max de Crinis (Lukas Miko), einem glühenden Nationalsozialisten, vor, wie man das als naive Deutsche eben so macht. Und tatsächlich scheint ihr nicht so recht bewusst zu sein, welche Konsequenzen das für ihren Probanden nach sich ziehen wird – auch wenn Otto für ihn zu intervenieren versucht, und damit alles nur schlimmer macht.

In der Wandlung des jungen Ärztepaares Anni und Artur liegt die Hauptgeschichte der zweiten «Charité»-Staffel: Eingeleitet wird sie durch den Umstand, dass ihr gemeinsames Kind nach der Geburt einen Wasserkopf zu entwickeln droht – und damit eigentlich ein Fall für die Reichsausschusskinder wäre. Schon zuvor werden Arturs Befürchtungen, was aus nazi-politischer Sicht Sinn und Zweck seiner ganzen Abteilung ist, immer deutlicher bestätigt: Doch als Held soll er erst ganz am Schluss geführt werden, als er in den letzten Tagen vor Kriegsende beim Vormarsch der Russen endlich zur völligen Rechtschaffenheit findet.

Der Fall Anni ist komplexer und problematischer: Denn sie hat zu Beginn nicht das leiseste Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Politik, Justiz und Medizin im Nazi-Staat, und arbeitet der Menschenvernichtung mit einer Seelenruhe und schier treudoofen Ergebenheit zu. Ungeachtet dessen, dass dies für eine Medizinerin mit einem herausragenden Intellekt auch in jungem Alter unglaubwürdig ist, wird ihre Wandlung zu Verständnis, Einsicht und somit Aufrichtigkeit erst durch die (Erb-)Krankheit ihres Kindes – was im Nazi-Staat Todesgefahr bedeutet – eingeleitet: also aus persönlichen Beweggründen und zumindest nicht hauptsächlich durch eine intellektuelle und empathische Einsicht. Das versperrt aber den Weg, den «Charité» mit dieser Figur gehen will: nämlich ihre nahezu völlige Exkulpierung von jeder Schuld, am allgemeinen Unrecht von Weltkriegsdeutschland beteiligt zu sein. Zwar reflektiert die Serie ihre Hauptfigur durchaus mit einiger erzählerischer Ausgiebigkeit und will hier tatsächlich aufrichtig und ernsthaft die Frage nach Schuld und Helfershelfertum stellen. Sie tut dies nur leider nie so ergebnisoffen, dass Anni nicht mehr unumstritten als Heldin dieser Erzählung geführt werden könnte.

Um den Kontrast zum Rest des Figurenpersonals zu erhöhen, treten neben dem historischen Nazi-Psychiater Professor de Crinis noch eine stramm nationalsozialistische NS-Funktionsschwester auf, die zum Schluss mit einem Skalpell auf eine Russin losgeht, sowie Magda Goebbels höchstpersönlich, die nach dem Abgang ihres „Versöhnungskindchens“ Annis versoffene Zimmergenossin auf Station wird. Um nicht nur den Nazi-Größen Cameos zuzugestehen, wird Professor Sauerbruch zum Schutzengel des KZ-Insassen und Widerstandshelfers Hans von Dohnányi, der nach einem Schlaganfall in die Charité verlegt wird, während Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Kamerad von Sauerbruchs Sohn vorgestellt wird und der in der Charité zwangsverpflichtete französische Arzt Adolphe Jung gar in einer episodenübergreifenden Rolle zu sehen ist.

Aber auch bei den Charakteren, die das junge Ärztepaar an Lebensjahren und Erfahrung übertreffen, ist die Naivität erschreckend: „Doch nicht hier in der Charité“, wird zu Koryphäe Sauerbruchs Mantra, als seine deutlich jüngere, aber weitsichtigere Ehefrau ihn liebenswürdig, aber bestimmt mit der Realität von Menschenversuchen und anderen deutschen Barbareien konfrontiert. In exponierenden Dialogen wird herausgestellt, dass er sich auch in den letzten Jahren dem Regime immer nur dann in den Weg gestellt hat, wenn er dabei im Hintergrund bleiben konnte: Erschütternde Interventionen im Justizministerium hat er vorgetragen, sich dann aber mit nervenberuhigendem Blabla zufriedengegeben. Auf förmlichen Protest, etwa als in den ersten Wochen nach dem Fall von Weimar alle jüdischen Ärzte hinausgeworfen wurden, hat er verzichtet. Auf besonderen Nachdruck erst recht. Auch Sauerbruch taugt damit nicht zum lupenreinen Helden – und sein Freund Dietrich Bonhoeffer bleibt die ganze Serie über nur eine Erwähnung.

Es tut «Charité» nicht sonderlich gut, wenn dieser Konflikt in seinen expliziten Momenten nur in aller Oberflächlichkeit dialogisiert wird: „Mein Mann ist kein Nazi und nicht in der Partei, er ist kein Politiker“, beschwichtigt Sauerbruchs Frau seinen Zwangskollegen Adolphe Jung, bevor der zwar korrekt, aber unnötig plakativ entgegnet: „In diesen Zeiten ist alles politisch.“

Vortrefflich hingegen gelingt die Darstellung des nationalsozialistischen Fanatismus‘ als gelebter Alltag, die intellektuelle und empathische Zumutung der dezidierten Anti-Humanität und zugleich, um für einen Moment mit Hannah Arendt zu sprechen: die Banalität des Bösen. Ein Stück weit kann sie dabei sogar einen der bittersten Fehler deutscher (Fernseh-)Filme über die Epoche des Hakenkreuzes – Nazis sind immer die anderen – aufbrechen und die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld verwischen. Anni und Artur offenbaren als Mitläufer wenig von ihrer wahren Gesinnung, doch bis sie selbst vom bestialischen Unrecht Nazi-Deutschlands bedroht sind, arbeiten sie ihm auch in seiner Barbarei im Mindesten unreflektiert und wahrscheinlich doch eher in einer gewissen gefälligen Ergebenheit zu. Nazi-Schwester Christel (Frida-Lovisa Hamann) ist trotz ihrer zunächst belächelten und erst am Schluss verachteten überkandidelten Verehrung für Führer und Nazi-Ideologie selbstverständlicher Teil des Kollegiums. Und Sauerbruch hat, obwohl bisweilen cholerischer Tyrann, aufrichtige Ideale von Humanität. Blättert man im Bonhoeffer, findet man eine Selbstanklage der Bekennenden Kirche, die sich mit Leichtigkeit auf den Chirurgen ummünzen ließe: „Er ist schuldig des feigen Verstummens, wo er hätte reden sollen, er ist schuldig der Heuchelei und der Unwahrhaftigkeit angesichts der Gewalt.“ Seine formaljuristische Parteilosigkeit macht Sauerbruch nicht zum Unschuldigen. Macht Annis Naivität sie dann automatisch zur Mitschuldigen?

Eine Frage, die «Charité» keineswegs offen, vielleicht nicht einmal absichtlich implizit stellt. Trotzdem scheint sie der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der neuen Staffel.

Das Erste zeigt sechs neue Folgen von «Charité» ab Dienstag, dem 19. Februar um 20.15 Uhr. Zum Auftakt wird eine Doppelfolge ausgestrahlt.
19.02.2019 04:21 Uhr Kurz-URL: qmde.de/107335
Julian Miller

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Charité

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