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Die Kritiker: «Lotte am Bauhaus»

Mit diesem Film will Das Erste dem berühmten Bauhaus ein Denkmal setzen. Ein künstlerisch mutiges Unterfangen, das um ein Haar vollends geglückt wäre.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Alicia von Rittberg als Lotte Brendel
Noah Saavedra als Paul Seligmann
Jörg Hartmann als Walter Gropius
Nina Gummich als Friedl Dicker
Marie Hacke als Anni Fleischmann
Ulrich Brandhoff als Juppi Albers
Julia Riedler als Dörte Helm

Hinter der Kamera:
Produktion: UFA Fiction GmbH, ARD Degeto Film GmbH, MDR Mitteldeutscher Rundfunk und MIA Film
Drehbuch: Jan Braren
Regie: Gregor Schnitzler
Kamera: Christian Stangassinger
Produzenten: Benjamin Benedict und Nico Hofmann
Koproduzent: Michal Pokorny
Ihre Freizeit verbringt die künstlerisch extrem talentierte Lotte Brendel (Alicia von Rittberg) mit dem Zeichnen etwas unflätiger, aber ästhetisch beeindruckender kleiner Werke, und als sie eines Nachmittags bei einer Ausfahrt mit ihrer Schwester einen Haufen junger Bauhaus-Schüler nackt und mit bunten Farben um sich werfend auf den See zufrohlocken sieht, ist sie angezogen von dieser freigeistigen, hemmungslosen Welt. Wenig später bietet ihr ein junger Student dieser avantgardistischen Institution, Paul Seligmann (Noah Saavedra), aus romantischen wie aus künstlerischen Gründen eine Führung durch die Ateliers und Unterrichtsräume an. Für Lotte ist klar: Hier gehöre ich hin.

Auch den Bruch mit ihrem Vater, der das Bauhaus als einen schändlichen Ort und die dortigen Studenten als sittenlose, flegelhafte Kommunisten abtut, nimmt sie dafür in Kauf. Doch sogar diese progressive, weimar-republikanische, pluralistische, geistvolle Welt ist für eine junge begabte Frau nicht ohne aus heutiger Sicht gestrige Widerstände. Die Ausschüsse wollen ihr eine Ausbildung in der Männerdomäne Werkstatt verwehren, obwohl ihr größtes Talent gerade in Holzarbeiten liegt, und sie stattdessen in die eher weibliche Weberei abschieben. Es bedarf erst der Intervention beim Bauhaus-Gründer Walter Gropius (brillant: Jörg Hartmann) und daraufhin seiner Beredsamkeit bei den Gremien, um den Unsinn abzustellen.

Die Goldenen zwanziger Jahre: Sie sind das erste Aufflackern eines aufrichtigen Deutschlands im zwanzigsten Jahrhundert, zwischen der Epoche der Diederich Hesslings und der Kurt Ziesels. Doch dieses Deutschland steht von Beginn an unter immensem Druck, den das Bauhaus, ob zuerst in Weimar oder später in Dessau, ganz besonders zu spüren bekommt. Schon in der Eröffnung dieses Films stellt der Kapp-Lüttwitz-Putsch das demokratische Deutschland vor eine erste schwere Prüfung, die es nach einem Generalstreik zunächst besteht. Doch das Erstarken revanchistischer und revisionistischer Kräfte, die man heute (kultur-)identitär nennen würde, steht natürlich im diametralen Gegensatz zum internationalen Bauhaus, das nicht zuletzt in seiner geistigen Verwandtschaft zu Expressionismus, Futurismus und Neuer Sachlichkeit einen enormen kulturellen und künstlerischen Bruch mit der Vorstellung einer an „Volk“, „Tradition“ und „Boden“ gebundenen, völkisch bestimmten „Kunst“ bedeutet.

«Lotte am Bauhaus» gelingt es erstaunlich gut, diesen intellektuell-kulturhistorischen Konflikt anhand seiner stark personalisierten Geschichte fassbar zu machen – und zwar auch in den Szenen, die ohne konkrete politische Darstellungen in Form von prügelnden Braunhemden und sich dem Mob in den Weg stellenden eloquenten, aber unerhörbaren Künstlern auskommen. Dieser Film zeigt das Bauhaus von seiner Blütezeit als Organisation und Ausbildungszentrum im trubelhaften Deutschland der zwanziger Jahre bis zu seiner erzwungenen Auflösung durch die nationalsozialistische Regierung, an deren Verkündung sich ein letztes, rauschendes Fest anschließt, bevor in Dessau die Lichter ausgehen und Studenten wie Meister das Weite suchen, vor allem in Amerika und Israel, und gerade im Hinblick auf diese historische Tatsache kommt man ob der letzten Minuten dieses Films nicht um die Beobachtung herum, dass er besser mit einem Streifzug durch die Straßen von Tel Aviv geendet wäre als mit einem Voice-Over und der unschönen Conclusio einer unzureichend ausgereiften Geschichte.

Das Weimarer und Dessauer Bauhaus mag ein Ort des sozialen Aufstiegs, der egalitären Ideale und der gelebten Moderne gewesen sein. Doch das heißt nicht, dass die handelnden Personen aus heutiger Sicht modern handeln. Trotzdem ist die Liebesgeschichte zwischen Lotte Brendel und Paul Seligmann gekennzeichnet vom Streben nach Gleichheit zwischen den beiden Partnern, auch wenn die Widerstände dagegen immer eklatanter werden.

Zuerst treffen sie sie von außen, wenn dickbäuchige Industrielle wie selbstverständlich mit Paul verhandeln, obwohl Lotte die treibende Kraft hinter den begehrten Entwürfen ist. Doch dann setzt sich dieses Missverhältnis auch in den Binnenspannungen des Paares fort: Wenn Paul in den Hierarchien des Bauhauses aufsteigt, Lotte sich aber anderen Gefilden zuwendet; als ihre ungewollte Schwangerschaft sie in ihren Möglichkeiten zu beschneiden droht, ihn aber nicht; und als er schließlich ihre Karriere ganz offen – wenn auch nicht aus bösem Willen – die zweite Geige spielen lässt und obendrein eine Romanze mit einer anderen Frau beginnt.

Lotte, eine starke Frau mit enormem Willen, Talent, Intellekt und einer gesunden Selbstachtung, trennt sich von ihm und zieht zu Freunden. Doch Stück für Stück überwindet sie die fürchterliche Kränkung – um am Schluss zu dem Mann zurückzukehren, der sie nicht nur sexuell betrogen, sondern auch in ihren künstlerischen und beruflichen Ambitionen beschnitten hat. Das passt als krönender Abschluss schlecht zur ansonsten achtbar, konsequent und zumeist elegant erzählten Geschichte einer willens- und charakterstarken Frauenfigur.

Hier spitzt sich nun endgültig der Konflikt zwischen dem Konventionellen und dem Radikalen zu, den deutsche Fernsehfilme gerne umgehen, zu dem dieser Film aufgrund seiner Thematik jedoch gezwungen wird: Das Bauhaus war eine radikale Institution – ein Umstand, den auch Gropius‘ politisches Lavieren und die vielfach unterschiedlichen politischen und künstlerischen Stoßrichtungen seiner Schüler und Meister nicht negieren können. Geeint waren sie alle im unbedingten Willen zur Kunst, in ihrer Vision einer kunstvollen Alltäglichkeit, einer ideologischen Kompromisslosigkeit. Das passt schlecht zu den Anforderungen, die deutsche Fernsehfilme an sich selbst stellen, und die sich – wenn auch nicht abschließend – mit Eingängigkeit und Gefälligkeit zusammenfassen ließen. Schlagworte, denen die Bauhaus-Ideologie mit ihren Vorstellungen von (künstlerischer) Funktionalität wohl nicht diametral entgegenstehen würde. Doch die Gefälligkeit des Bauhauses ist – wenn schon – eine intellektuelle und keine anbiedernde oder eine, die vornehmlich vage Allgemeingeschmäcker zu antizipieren versucht.

Obwohl «Lotte am Bauhaus» zweifellos zumindest in ihrer grundsätzlichen Geschichte und den meisten Passagen ihrer filmischen Ausführung eine kluge, schöne, haltungs- und kunstvolle Produktion ist, vermisst man bei diesem Thema die Zelebrierung des Unkonventionellen und den Willen zur völligen Hingabe an diese Geschichte ganz besonders. Will man dem Bauhaus ein filmisches Denkmal setzen, so scheinen die Gesetzmäßigkeiten des deutschen Melodrams seltsam unpassend, auch wenn sie für dieses Projekt wohl so weit aufgeweicht worden sind, wie dies unter den gegebenen Produktionsumständen möglich und vertretbar war.

Das Erste zeigt «Lotte am Bauhaus» am Mittwoch, den 11. Februar um 20.15 Uhr.
12.02.2019 05:20 Uhr Kurz-URL: qmde.de/107165
Julian Miller

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Lotte am Bauhaus

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