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«Armes Deutschland»-Produzentin Fahrenkrog-Petersen: „Sozialschmarotzer haben kein Problem vor die Kamera zu gehen“

Am 7. Juli 1998 wurde Good-Times gegründet: Nicht nur das ist ein Grund zum Feiern. Jüngst erreichte «Armes Deutschland» neue Quotenrekorde für das 20 Jahre alt werdende Produktionshaus und Sender RTL II. Wir gratulieren der Geschäftsführerin Sylvia Fahrenkrog-Petersen und sprechen auch über deren neue «Trödeltrupp»-Konkurrenz...

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Zuletzt gab es immer mehr Fusionen auf dem TV-Produzentenmarkt – war das für Sie als geschäftsführende Inhaberin bei Good Times nie Thema?
Sicherlich gab es Überlegungen, hat aber bisher nie gepasst. Wir stehen für eine bestimmte Art von Fernsehen. Dafür werde ich von den Auftraggebern und Sendern geschätzt. Der Markt war für mich früher härter als jetzt. Ich war früher eine Drei-Mann-Klitsche. Da hat mir niemand zugetraut, einen größeren Auftrag zu machen! Ich kenne heute die ganzen Senderchefs. Manche stehen besser zu uns, andere weniger. Mittlerweile stellt aber keiner in Frage, ob wir das können. Früher hätte mir niemand eine Daily gegeben! Jetzt ist das kein Problem mehr.

Wie beschreiben Sie die Handschrift von Good Times?
Die Handschrift von Good Times sind Produktionen, die nah am Menschen sind. Wir sind dafür bekannt, dass wir gute Protagonisten finden. Das sind sehr spezielle Leute. Wir kommen sehr nah an Menschen dran, die man im normalen Leben vielleicht nicht begegnen würde. Davon lebt zum Beispiel auch «Mein Lokal, Dein Lokal», wo wir am Vorabend mit «Der Profi kommt» zuletzt auch neue Wege gegangen sind.

Was macht eigentlich das „TV-Beichtstuhl“-Format «Ovo» von der Vorjahres MIPTV?
Sat.1 hatte Interesse an neuen Talk-Formaten wie diesem. Aber letztlich haben sie es doch nicht gemacht. Ich finde es schade, hätte es witzig gefunden. «Ovo» ist ein Ei, das ähnlich wie ein Beichtstuhl ist: Die Leute können da reinkommen und erzählen ihre Geschichte. Eine Person, die der Mensch nicht sieht, stellt Fragen und versucht, dass die Leute ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen. Wir haben die Lizenz gekauft, weil wir das Format spannend finden.

Spannend sind auch die Quoten-Rekorde der Sozial-Dokus wie «Armes Deutschland» – Wie sehr hilft Ihnen dabei die aktuelle gesellschaftliche Debatte rund um Hartz IV?
Sehr! Das Format ist deshalb so erfolgreich, weil die Thematik Hartz IV im Moment in aller Munde ist. Das ist ein ganz großes gesellschaftliches Thema! In Deutschland haben unheimlich viele Leute Angst vor dem Absturz, vor Arbeitslosigkeit, vor Altersarmut und vor Pflegebedürftigkeit. Diese Themen sind allgegenwärtig in Deutschland und deshalb erzeugt dieses Format so großes Interesse.

Wie beurteilen Sie nach all den Dreharbeiten das viel diskutierte Zitat von Jens Spahn? Bedeutet Hartz IV Armut?
Ich würde sagen: Manchmal. Es ist nicht immer Armut. Hartz IV ist oft Armut, aber Hartz IV ist manchmal auch Faulheit.

Bei «Armes Deutschland» geben Arbeitslose teils ungeniert zu, dass sie eigentlich keinen Job wollen oder berichten sogar über Schwarzarbeit. Inwieweit warnt man Protagonisten vor möglichen Konsequenzen im Zuge der Ausstrahlung?
Bisher hatten unsere Protagonisten wenig negative Konsequenzen. Den Anspruch auf Harz IV hat ja jeder. Wir haben 17 Folgen produziert: Nur einer unserer Protagonisten hatte nach der Ausstrahlung etwas Probleme! Wir haben immer einen engen Kontakt zu den Leuten – auch nach den Dreharbeiten. Wir klären sie auch darüber auf, womit sie im Extremfall rechnen müssen. Und trotzdem bleiben viele Leute dabei, denen solche Aussagen egal sind, sie wollen einfach ihre Meinung loswerden.

Am Anfang haben wir noch gedacht: Du findest niemanden, der das alles so offen sagt. Dem ist aber nicht so, es gibt viele Menschen, die ganz offen ihre Meinung sagen.
Sylvia Fahrenkrog-Petersen, Chefin der Produktionsfirma Good Times
Die O-Töne bei «Armes Deutschland» polarisieren – sind aber alle echt?
Wir verbürgen uns dafür, dass alle O-Töne echt sind. Wir drängen die auch nicht in eine bestimmte Richtung. Viele sagen: Ihr guckt doch immer, dass die genau diese O-Töne sagen – das stimmt einfach nicht! Wir machen nichts gescriptet! Es haben sich während der Dreharbeiten auch Protagonisten gewandelt, wo man zuerst dachte: Das sind die Guten, nachher waren es aber nicht die Guten. Wir begleiten die Menschen einfach. Keiner unserer Protagonisten bekommt ein nennenswertes Honorar, um nicht den Anschein zu erwecken, wir würden uns diese O-Töne kaufen. Wir recherchieren unsere Protagonisten genau, da für einige die Teilnahme an der Sendung ein gewisser „Fame“ bedeutet.

Es bewerben sich viele bei uns und sagen dann genau die O-Töne, die wir hören wollen. Aber wenn wir die Leute genauer recherchieren, merken wir, dass das gefakt ist - das machen wir dann nicht! «Armes Deutschland» war als ganz kleines Vier-Folgen-Format angelegt und sollte irgendwann nett versendet werden. Dass das so ein Erfolg ist und wir damit sogar RTL schlagen, hätte keiner geglaubt! Wir machen jetzt auch verschiede Spin-Offs. Am Anfang haben wir noch gedacht: Du findest niemanden, der das alles so offen sagt. Dem ist aber nicht so, es gibt viele Menschen, die ganz offen ihre Meinung sagen. Wir haben eher Probleme Menschen zu finden, die wirklich arm sind und verzweifelt versuchen, sich mit Minijobs über Wasser zu halten. Die sind einfach zu bescheiden und schämen sich für ihre Armut!

Wie erklären Sie sich das? Ist es Scham?
Ja. Erstens sind die – logischerweise - immer am Arbeiten und zweitens ist denen das unangenehm. Armut ist für die eine Schande. Sozialschmarotzer haben kein Problem vor die Kamera zu gehen.


Mit «Dinner Party» bespielen Sie einen Drittsendelizenz-Slot – Ist man da in der Themenauswahl mutiger, da weniger auf Formatvorgaben und Quotendruck geachtet werden muss?
Natürlich! Du kannst alles machen, was Dich interessiert und kannst Sachen ausprobieren. Wir haben da mal Überraschungsgäste eingeladen, dann haben wir Sportthemen ausprobiert, dann mal ernste, mal lustigere Themen. Jetzt wollen wir mal mit Moderatoren rotieren. Diese Möglichkeiten hast Du als normaler Produzent nie, weil man alles vorher mit dem Sender abstimmen muss. Wir müssen da ja nichts abstimmen.

Zum Abschluss: Was haben Sie sich für die nächsten Jahre bei Good Times vorgenommen?
Wir haben noch viel vor! Ich würde gerne mal eine Show machen, das finde ich spannend. Oder auch eine internationale Dokumentation. Das sind alles Wunschträume. Aber wenn ich mir vor 20 Jahren vorgestellt hätte, was ich jetzt alles mache… Ich weiß nicht, ob man es dann nicht doch schaffen kann. (lacht)

Danke für das Gespräch!
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07.07.2018 13:49 Uhr Kurz-URL: qmde.de/102062
Benjamin Horbelt

super
schade

74 %
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