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«Deadpool 2»: Das vorlaute Mutantenmaul ist zurück

Ein Berg an Popkulturreferenzen, cartoonig-übertriebene Gewalt, jede Menge Schimpfwörter und die weibliche, schwarze Antwort auf Gustav Gans. Dies und eine bemühte Story ergeben «Deadpool 2».

Filmfacts: «Deadpool 2»

  • Regie: David Leitch
  • Produktion: Simon Kinberg, Ryan Reynolds, Lauren Shuler Donner
  • Drehbuch: Rhett Reese, Paul Wernick, Ryan Reynolds
  • Darsteller: Ryan Reynolds, Josh Brolin, Morena Baccarin, Julian Dennison, Zazie Beetz, T.J. Miller, Brianna Hildebrand, Jack Kesy
  • Musik: Tyler Bates
  • Kamera: Jonathan Sela
  • Schnitt: Dirk Westervelt, Craig Alpert, Elísabet Ronaldsdóttir
  • Laufzeit: 119 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Leute, ich erspare uns das Elend. Ihr wisst doch eh, was Sache ist: Im Februar 2016 schwang sich «Deadpool» zu einem riesigen Überraschungserfolg auf. Budget von 58 Millionen Dollar, weltweite Einnahmen von über 780 Millionen. Positives Kritikerecho. Diverse Rekorde. All das trotz hoher Jugendfreigabe und so weiter, bla bla bla … Ist euch bekannt. Wälzen wir das nicht weiter aus, kommen wir zu meiner Meinung über die unvermeidliche Fortsetzung, die nun startet ...

Neuer Regisseur, dezent veränderter Look: Stellte «Deadpool» noch das Regiedebüt des Effektkünstlers Tim Miller dar, wurde das Sequel von David Leitch gefilmt. Leitch drehte zuvor bereits «Atomic Blonde», und selbst wenn das Charlize-Theron-Actionvehikel dramaturgische Probleme hat, ist es immerhin ansehnlich inszeniert. «Deadpool 2» profitiert von Leitchs Erfahrung: Anders als der zwischendurch eher starr in Szene gesetzte Vorläufer, steckt der deutlich höher budgetierten Fortsetzung wesentlich mehr Leben in den Knochen.

Vom betonten «Atomic Blonde»-Style ist hier zwar nichts zu merken, jedoch lässt Leitch Kameramann Jonathan Sela («John Wick») das Geschehen ein gutes Stück dynamischer einfangen, als es Ken Seng beim Erstling gestattet war. Dies gibt den Actionpassagen von «Deadpool 2» einen im Vergleich zum Vorgänger gesteigerten Drive, was im Zusammenspiel mit dem höheren Effektbudget dabei hilft, das erste Drittel des typischen Sequelversprechens "Größer, schneller, besser" zu erfüllen: Obwohl «Deadpool 2» in manchen turbulenten Actionpassagen mit seinen Digitaltricks alles andere als glänzt, wird dem Fanpublikum wilderer Mutantensöldnertrubel geboten als im Film aus dem Jahr 2016.

Oh, ich glaube, ich habe eine Möglichkeit zu einer superdupermegahammeraffengeilen Überleitung gefunden. Schnallt eure Hintern fest, hier kommt sie: Der Mittelpunkt der (in Theorie) spektakulärsten «Deadpool 2»-Actionszene ist kurioserweise nicht der Titel-Antiheld. Und ärgerlicherweise leidet diese Szene am meisten unter unfertigen Computeranimationen, die noch ein paar Tage Rendering, Shading und Compositing benötigt hätten. Schade, sehr schade – ändert trotzdem nichts daran, dass besagte Sequenz dazu beiträgt, dass die dort abliefernde Figur den wandelnden Höhepunkt des Films darstellt. Die Rede ist von Domino.

Die von der gebürtigen Berlinerin Zazie Beetz gespielte Mutantin schließt sich der X-Force an, einer von Deadpool ins Leben gerufenen Heldentruppe – und aus dieser sticht sie mit ihrem Gustav-Ganzs-Level an Glück heraus. Bedeutet: Wenn sie im Kampf gegen das Böse etwas benötigt, sorgt eine kuriose Kette an Glücksfällen dafür, dass es eintritt. Das vereint Situationskomik, verdrehten Slapstick, cartooneske Gewaltspitzen und makaberen/albernen Einfallsreichtum – und ergänzt «Deadpool 2» bei aller Knalligkeit um eine subtilere Art der Genrepersiflage. All zu oft überleben Actionhelden ihre Einsätze allein dank Fortuna (vor allem die späteren «Fast & Furious»-Filme sind voll von reinen Glücksfällen), und mit Domino wird das Einmischen der Glücksgöttin explizit-komisch thematisiert. Darüber hinaus schafft es Beetz, die Figur mit keck-freundlicher Art noch immer sympathisch anzulegen – das macht Lust auf mehr.

Na?! Ihr denkt nun bestimmt: 'Ja, fantastisch. Alles tutti, alles frutti, bei «Deadpool 2» duftet es fit im Schritt!' Tut mich aber voll sorry und so, wenn ich auf die Enthusiasmusbremse hauen muss. Wollt ihr reinen Lobgesang auf das heiß erwartete Rüpelsuperheldenactionparodiesequel mit euren Äuglein vernaschen, sag ich euch: Vielleeeeeicht jetzt schnell wegklicken. Lasst aber dennoch 'nen 'Like' da, weil ich euch so lieb gewarnt habe. Coolio?! Coolio. Weiter im Text, zuerst mit sanftem Mecker-Lob-Mischmasch! Und dann arbeiten wir uns ins Leid vor.

Deutlich mehr als die Action steht bei «Deadpool 2» der Humor im Fokus. Und nach typischer Sequelmanier muss auch in dieser Hinsicht hier alles schneller und weiter gehen. Bedeutet: Die Gagrate der Drehbuchautoren Rhett Reese, Paul Wernick und Ryan Reynolds ist alles in allem gesehen sehr hoch. Wenn sich «Deadpool 2» nicht gerade tief in seine Plotmechanismen verrennt, schmeißt das Autorentrio so schnell so viel auf die Leinwand, dass zwangsweise irgendwas davon treffen muss. Für die Einen werden es die zahllosen, wahllos in die Dialoge eingestreuten Schimpfwörter sein. Für Andere die Popkulturreferenzen, die mal kreative Vergleiche herstellen, mal «Family Guy»-mäßig nur Querverweise sind, die bloß zum Selbstzweck dienen. Oder die Selbstironie zündet – wenn sie nicht aus dem "Wir sprechen die dramaturgischen Probleme dieses Filmes aus, und tun so, als seien sie somit aus der Welt geschafft"-Holz geschnitzt sind. Oder die überdrehte Slapstickgewalt trifft einen Nerv.

Ihr hört es schon raus: «Deadpool 2» benötigt auch dringend seine hohe Witzfrequenz, um seine diversen Rohrkrepierer vergessen zu machen. Wenigstens geht der Plan der Filmemacher auf: Ich habe vielleicht nur bei jedem 15. Witz gelacht, und hatte im Kino dennoch häufig Anlass, aufzulachen. Selbst wenn ich zwischendrin enttäuscht geschnauft habe, weil so viele Gags – für mich – so laut verpufft sind. Aber jeder Jeck hat anderen Humor, richtig, Leute?

Während «Deadpool 2» seine verpuffenden Gags durch Schnellfeuergescherze aufwiegen kann, gibt es etwas, das diese Superheldenrüpelkomödie sich auch durch größte Anstrengungen nicht erarbeiten kann: Ehrliche Emotionen. Der episodenhaft zusammengestellte Plot darüber, dass der von Ryan Reynolds gespielte Titelheld netter werden will und daher einen halbstarken Mutanten mit Wutproblemen («Wo die wilden Menschen jagen»-Darsteller Julian Dennison) vor dem zeitreisenden Killer Cable (Josh Brolin) retten möchte, ist gleichzeitig flach und überfrachtet.

Er ist insofern flach, als dass die Autoren verzweifelt mehrere Umwege gehen, um «Deadpool 2» auf zwei Stunden Laufzeit zu strecken. Überfrachtet ist er dahingehend, als dass «Deadpool 2» für einen Film, bei dem die Figurenzeichnung drittrangig ist, angestrengt aus jedem Moment, der weder Gag noch Action oder Plotexposition darstellt, einen Tränenzieher zu machen versucht. Das lässt die Handlung mehrmals zum vollständigen Stillstand kommen, ist unfassbar aufgesetzt und darüber hinaus tonal durch und durch unehrlich. Außerdem zeugt es dafür, dass sich die «Deadpool 2»-Macher bei allen selbstreferentiellen Anflügen eben doch nicht selber ganz durchschaut haben. Da hat der erste «Deadpool» seinen Mix aus Witz, Action und süffisanter, dennoch ehrlich gemeinter "Hoffentlich findet mich meine Freundin trotz entstelltem Äußeren noch immer rattenscharf!"-Dramatik besser im Griff.

Ganz davon zu schweigen, dass es zwei Kino-Dilogien gibt, die das, was die «Deadpool»-Reihe versucht, wesentlich souveräner und konsequenter hinbekommen: «Kick-Ass 1 & 2» sind saucoole, brutale Superheldenpersiflagen, die dennoch eigenständige Geschichten mit Fallhöhe erzählen. Und die beiden «Kingsman»-Filme vermengen Agenten- und Actionparodie mit Style, comichafter Action, albernen Gewaltspitzen und einem stringent entwickelten Protagonisten, dem ich seine Gefühlsregungen tatsächlich abkaufe. «Deadpool 2» dagegen giert mit seinen "herzlichen" Momenten und Plotentscheidungen einfach bloß nach Aufmerksamkeit. Wenn ihr mich fragt. Was ihr ja irgendwie tut, da ihr entschieden habt, meine Kritik zu lesen.

Fazit: «Deadpool 2» ist größer als sein Vorgänger aus dem Jahr 2016. Das kann, je nach Erwartungshaltung, schon genügen.

«Deadpool 2» ist ab dem 17. Mai 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
16.05.2018 08:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/101005
Sidney Schering

super
schade


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Atomic Blonde Deadpool Deadpool 2 Family Guy Fast & Furious John Wick Kick-Ass 1 & 2 Kingsman Wo die wilden Menschen jagen

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